Entwicklungsland holt auf

Ärzte führen höhere Qualitätsstandards bei der Brustkrebsvorsorge ein. Gesundheitsministerin Schmidt ist begeistert

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Brustkrebs ist eine Volkskrankheit und soll in Zukunft auch so behandelt werden. Um die Brustkrebs-Vorsorge und -Behandlung in Deutschland endlich dem internationalen Standard anzugleichen, müssen Ärztinnen und Ärzte ab April nachsitzen.

Alle Gynäkologen und Radiologen der Republik sollen in Seminaren erstens eigene Röntgenaufnahmen von weiblichen Brüsten vorzeigen und zweitens unbekannte Aufnahmen selbst auswerten. Nur wer eine anschließende Prüfung besteht und außerdem geeignetes technisches Gerät in der Praxis stehen hat, soll dann noch Brustkrebs-Röntgenuntersuchungen machen dürfen. Darauf haben sich die Kassenärztlichen Bundesvereinigung und Krankenkassen-Verbände geeinigt. „Wir wollen damit zeigen, dass die Selbstverwaltung der Ärzte funktioniert“, sagte Roland Stahl, Sprecher der KBV, gestern zur taz.

Den „Durchbruch zur Qualitätssicherung bei der Früherkennung und der Behandlung von Brustkrebs“, meinte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) angesichts dieser Selbstverpflichtung gestern schon verkünden zu können. Denn Deutschland hinkt im Kampf gegen Brustkrebs hinterdrein: Die Heilungschancen sind hier schlechter als etwa in den USA oder den Niederlanden.

Und das, obwohl massenhaft geröntgt wird: Vier Millionen Mal im Jahr werden weibliche Brüste in Deutschland mammografiert. Wenn sich ein verdächtiger Knoten im Gewebe abzeichnet, werden rund 100.000-mal im Jahr operativ Gewebeproben entnommen. Die Patientin wird dazu unter Vollnarkose gesetzt und muss rund drei Tage im Krankenhaus bleiben. „Unnötig“, sagte der Kölner Gesundheitssachverständige Karl Lauterbach gestern: „Ebensogute Befunde können auch ambulant und ohne Vollnarkose erreicht werden.“ Die Qualität der Röntgenaufnahme sei oft schlecht, bei Gewebeentnahmen würde vielfach auch gleich eine Brustamputation vorgenommen, ohne brusterhaltende Behandlungsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen.

Der Plan der Ministerin ist, dass ab 2003 flächendeckende Röntgenuntersuchungen nach dem Vorbild der Niederlande eingeführt werden. Alle zwei Jahre sollten sich Frauen ab 50 auf Kassenkosten einer Röntgenuntersuchung unterziehen. Der Vorteil eines solchen so genannten Mammografie-Screenings wäre, dass das nach Leitlinien geschulte Personal Daten erheben kann, die dann zentral ausgewertet werden. In drei Modellregionen – Wiesbaden, Weser-Ems und Bremen – finden solche Screenings derzeit statt.

Wenn 2003 die Modellprojekte ausgewertet werden, erwartet Schmidt, dass Ärzte und Kassen ein Massen-Screening-Programm auflegen. „Wenn Ärzte und Kassen handeln, gibt es auch keinen Anlass mehr für ein entsprechendes Gesetz“, sagte Schmidt gestern. Seit Mitte vergangenen Jahres gibt es einen rot-grünen Antrag, Kassen und Ärzte gesetzlich zur Einführung eines Mammografie-Screenings zu verpflichten. Schmidt schwebt jedoch eher ein Früherkennungs- und Präventions-Gesetz vor, das nicht nur Brustkrebs, sondern auch weit verbreitete Krebsarten wie Prostatakrebs erfassen würde.

Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung war man sich gestern noch nicht so sicher, dass die Reihenuntersuchung nächstes Jahr auch wirklich kommt. KBV-Sprecher Stahl sagte: „Wir halten die Debatte über die Wirksamkeit eines solchen Massen-Screenings noch nicht für abgeschlossen.“