Zum Fressen gern

■ „Mit Essen spielt man nicht“: Das neue Stück der Tanzkompanie MS Schrittmacher hatte im Oldenburgischen Staatstheater Premiere

Essen ist Lust, ist im Idealfall die Verbindung von Sättigung und Sinnlichkeit und es verbindet den Menschen mit dem Tier. Damit sind die Themen von Martin Stiefermanns Tanzstück „Mit Essen spielt man nicht“ bereits umrissen: Mensch-Tier-Beziehungen und Nahrungsaufnahme.

Zunächst enthüllt die Inszenierung das Animalische im Menschen. Den sechs TänzerInnen, die schnieke gekleidet die Bühne des Kleinen Hauses beherrschen, fällt es schwer, ihre tierischen Rudimente zu verbergen. Sie folgen ihrem Trieb. Da nimmt eine Frau Witterung auf, folgt ein Herr der Duftmarke seiner Tanzpartnerin. Paar-Tanz ist in Martin Stiefermanns Choreografie immer auch Paarungs-Tanz. Da kann die Körperbeherrschung schon mal außer Kontrolle geraten. Im wörtlichen Sinne fallen die Akteure übereinander her, stolpern, kaum dass sie eine sinnliche Tango-Pose angedeutet haben. Nur der berühmt-berüchtigte Apfelsinentanz funktioniert reibungslos.

Das Animalische im Menschen dient Stiefermann jedoch nur als Exposition. Sein eigentlicher Schwerpunkt liegt auf der Vermenschlichung des Haustiers, der aus den Fugen geratenen Liebe zur domestizierten Nahrungsquelle. Flugs verwandeln sich jene Tiertransport-Kisten, die bis zu diesem Zeitpunkt als Bühnenhintergrund und Klettergelegenheit für die Akteure fungierten, in Single-Eigenheime, die sich gegenseitig an Scheußlichkeit übertreffen. Der bürgerliche Mief von Gartenzwerg und Kuckucksuhr trifft hier auf schreiende Farben.

In diesem Interieur agiert eine schrille Gemeinschaft der Beziehungsunfähigen. Tiere haben den menschlichen Partner ersetzt – so gut es eben geht. Eine vereinsamte Frau kompensiert ihren Frust durch Dalmatiner-Wahn. Noch ihr Klopapier verziert sie mit schwarzen Punkten, während ihr Nachbar sich als Chefkoch für seinen Vierbeiner betätigt, als hätte er zu viel „Cesar“-Werbung gesehen. „Meine Tiere sind mir das Wichtigste im Leben“, verkündet er, um wenig später zu gestehen: „Ich vögle alles, was zwei Flügel oder vier Beine hat“. Die Nachbarn versammeln sich derweil vor dem Fernseher: Es läuft „Lassie“.

Eine andere Dame hält es eher mit ihrem „deutschen Rammler“ im Vorgarten und ist entsprechend pikiert, als ihr ein toter, vom Fell befreiter Hase überreicht wird. Ein harter Schlag, denn eben noch hatte sie sich im Andenken an ihren Nager lustvoll stöhnend auf der Bühne gewälzt, während es aus dem Off sang: „ I Love My Little Rabbit Up My Rectum“. Nun scheint ihr Liebling reif für den Kochtopf. Das Leben ist manchmal grausam.

Respektlos nimmt Stiefermann alles auf die Schippe, was sein Thema hergibt: Pelzmantelträger, Esoteriker und Fetischisten bekommen ihr Fett ab. Selbst das Ballett kommt nicht ungeschoren davon. Der sterbende Schwan findet sich unversehens in den Armen einer nackten Frau hinter einem rosa Duschvorhang wieder.

Getanzt wird bei alledem nur wenig. „Mit Essen spielt man nicht“ ist temporeiches Theater mit viel Musik und choreografischen Einlagen, eine gnadenlose Satire auf übersteigerte Tierliebe, die Dank konsequenter Überzeichnung der Charaktere selbst dem Tabu-Thema Sodomie die schockierende Spitze nimmt. Was unter dem Strich bleibt ist glänzende, bunte Unterhaltung ohne Durchhänger – vor allem dann, wenn man ein Faible für schräge Einfälle hat.

Christoph Kutzer

Aufführungen am 28.2., 5.3. und 23.3. jeweils um 20 Uhr. Karten gibt es unter Tel.: 0441 / 22 25 111

In Oldenburg ist Paar-Tanz immer Paarungs-Tanz

Foto: Björn Reißmann