Hürdenlauf am Hermannplatz

Beförderungs-Verwehrsport als olympische Disziplin: Geheime Bekenntnisse eines BVG-Busfahrers

Wenn ich sie im Rückspiegel sehe, drücke ich auf den Knopf. „Pffft“, geht die Tür zu

Ich bin wirklich gerne Busfahrer: Am meisten macht es mir Spaß, wenn ich die Leute im Rückspiegel von weitem heranrennen sehe und wenn sie schon denken, sie schaffen es noch, drücke ich einfach auf einen Knopf und – „pfftt“ – geht die Tür zu. Ich bleibe dann noch kurz stehen, um ihnen ein wenig beim Ärgern zuzusehen: Einige schreien oder hauen mit der flachen Hand gegen den Bus.

Wenn’s zu dolle wird, hupe ich warnend. Andere lassen nur resigniert die Schultern sinken. Manche weinen sogar – dann müssen sie es besonders eilig gehabt haben.

Es gibt so viele verschiedene Temperamente, und in meinem Job lernt man die alle kennen. Wenn ich mich satt gesehen habe, fahre ich los: Ich kann Fahrgäste nicht leiden.

Ich träume oft von den Olympischen Spielen: Meine Fahrgäste stehen oben auf dem Treppchen, und ich bin stolz auf sie, obwohl ich sie nicht leiden kann. Vor allem bin ich stolz auf mich, weil ich sie trainiert habe – Sprint, Mittelstrecke und vor Karstadt am Hermannplatz auch Hürdenlauf.

Die Sieger hatten alle das Spezialtraining: Nach dem Anfahren, wenn sie schon fluchen, halte ich noch mal kurz, damit sie denken, dass ich sie doch mitnehme. Dann holen sie alles aus sich heraus, dann kriegen sie die zweite Luft – das ist ganz großer Sport.

Kurz bevor sie es geschafft haben, fahre ich natürlich los: Der Weg zum Erfolg ist steinig und führt nur über die Qual und die Enttäuschung. Ich hatte mir auch extra mal ein Schild gemacht und vorne in die Scheibe gestellt, „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Leider hat bald der Chef gesagt, „Hoffi, es tut mir leid, aber das musste wegnehmen – wir hatten schon genug Ärger mit den Führerbildern in der Kantine!“ Ich hab’s dann zu Hause übers Sofa gehängt.

Den größten Spaß habe ich ja mit Behinderten: Wenn die angerollt kommen, mit hängender Zunge, und irgendjemand will ihnen noch reinhelfen. Im selben Moment macht es „pfftt“, und der Helfer bleibt in der Tür stecken. Da muss man geschickt sein, genau den richtigen Augenblick abpassen, und einer von ihnen wird noch ein Stück mitgeschleift, manchmal sogar beide – die Königsdisziplin.

Behinderte kann ich erst recht nicht leiden. Gerne öffne ich bei mir vorne auch das Fenster und brülle raus: „Das ist kein Telebus hier – oder seht ihr vielleicht irgendwo nen Fernseher?“ Ganz verdattert schlucken sie dann ne ordentliche Ladung Dieselruß, und im Winter gibt’s noch gratis Schneematsch dazu.

Ich träume oft von den Paralympics: Meine behinderten Fahrgäste stehen in ihren Rollies vor dem Treppchen und haben Goldmedaillen um den Hals. Oben vor der Ehrenloge schüttelt mir der Kaiser die Hand. Für ihn habe ich die Goldkinder bis zur totalen Erschöpfung getrimmt – für ihn, für Deutschland und für die BVG.

Nach einem Wettbewerb sind sie völlig ausgebrannt, aber es gibt so viel hoffnungsvollen Nachwuchs, es gibt immer unheimlich viel für mich zu tun.

Habe ich schon gesagt, dass ich Fahrgäste nicht leiden kann? Eigentlich kann ich überhaupt keine Menschen leiden. Tiere auch nicht. Pflanzen sowieso nicht. Gegenstände? Kann ich nicht leiden.

Ich träume oft vom Krieg. Wenn ich danach aufwache, ist meine Schlafanzughose immer ganz feucht. Ich bin wirklich gerne Busfahrer. ULI HANNEMANN