strafplanet erde: weltschmerz im kopf von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Es wäre unschlagbar originell gewesen, wenn ein Messer ohne Griff, dem die Klinge fehlt, auf einem Tisch ohne Platte, der keine Beine hat, gelegen hätte, aber es war kein surreales Restaurant, sondern eine ziemlich normale Kneipe.

Am Nebentisch saß ein Duo, das früher ein Paar gewesen sein musste oder sich sogar noch als ein Paar betrachtete, obwohl es, hörte man die Ungeduld und Härte in der lauten Stimme der Frau, längst vorbei war. Seine Todesangst, sagte sie zu ihrem Gegenüber, und ich war sofort alarmiert und zum Zuhören gezwungen durch das an diesen Ort so gar nicht passende Wort, seine Todesangst sei nichts anderes als Lebensangst. Todesangst und Lebensangst seien ihrer Ansicht nach Synonyme. Erst habe ihn, sagte sie, das Herz in Panik versetzt, nein, nicht das Herz, sondern der Herzschlag, ein Schmerz, ein Ziehen, ein blitzartiges Ziehen, so ungefähr habe er es ihr doch beschrieben, und er sei dauernd zum Arzt gerannt. Der natürlich nichts gefunden habe. Warum sich wohl Herz auf Schmerz reime? Das solle er sich doch einmal überlegen. Warum wohl?, fragte sie erneut, ohne eine Antwort abzuwarten.

Ob er nicht die Bemerkung in Lichtenbergs „Sudelbüchern“ kenne, sie habe jedenfalls eine CD-ROM, auf der weite Teile des Lichtenberg’schen Werkes gespeichert seien, komisch eigentlich, er habe sie zu Lebzeiten nicht veröffentlicht, und zweihundert Jahre später seien sie für jedermann abrufbar, sei nichts einfacher als das, vermutlich weltweit abrufbar, irgendwo im Internet fände man mit Sicherheit die Notizen Lichtenbergs, man brauche die Bücher gar nicht in echt, jedenfalls nicht, wenn man nicht philologisch arbeite und es nicht so genau nehme, ob jedes Komma und so weiter an der richtigen Stelle stehe, da habe sie den Satz gefunden, Moment, nämlich, so ungefähr schreibe Lichtenberg, im Deutschen reime sich Geld auf Welt, und es sei kaum möglich, dass es einen vernünftigeren Reim gebe, er biete allen Sprachen Trotz, dies Letzte habe sie sich genau gemerkt, aber genau so vernünftig sei auch das Reimpaar aus Herz und Schmerz, wobei, darüber sei sie sich durchaus im Klaren, in Schlagertexten und so weiter kein Schmerz gemeint sei, wie er ihn verspürt habe.

Und nach den unzähligen Arztbesuchen, sagte sie, bei denen niemand eine organische Ursache seiner Herzschmerzen habe feststellen können, danach habe er sich auf seinen Kopf konzentriert, dauernd über Kopfschmerzen geklagt. Und nun solle er sich überlegen, sagte sie, was sich im Deutschen auf Kopf reime. Und dann gebe es, fuhr sie fort, abrupt eine Kehre ins Satzgetüm einbauend, dann gebe es ja noch das deutsche Wort Weltschmerz, das quasi jene beiden Reimpaare vereine oder zumindest miteinander verbinde, Geld und Welt und Herz und Schmerz, und das sogar mit internationalem Erfolg, denn das Wort Weltschmerz habe es ja beispielsweise bis in das „Oxford Dictionary“ geschafft. Blitzkrieg sei ein anderes, aber egal. Der Reim auf Kopf, den sie zurzeit favorisiere, sei übrigens Tropf. So wie der Mann sie ankuckte, hatte sie Recht.