Warum läuft Herr K. Amok?

Wie der deutsche Schriftsteller Georg Klein sich einmal an Mark Twain verhob

Wenn in Deutschland einer über Satire schreibt, weiß er meist nicht einmal, was das ist

Der deutsche Schriftsteller Georg Klein wurde im Jahr 2000 dadurch bekannt, dass er sich mit Ende 40 vor die Jury des Ingeborg- Bachmann-Preises in Klagenfurt setzte und den dort vorlesenden Junioren einen Nachwuchspreis wegschnappte. Die Geschichte fiel mir ein, als ich den Namen kürzlich wiederlas. 125 Jahre nach Niederschrift der amerikanischen Originalausgabe erschien Mark Twains „A Murder, a Mystery, and a Marriage“ erstmals in deutscher Übersetzung: „Eine Bluttat, ein Betrug und ein Bund fürs Leben“. Der Zürcher Manesse Verlag band dem roten Büchlein eine silberne Banderole um, „Weltpremiere“ stand darauf und: „Nachwort von Georg Klein“.

Das Ding ist eine editorische Merkwürdigkeit. Knapp 50 Seiten umfasst Twains Geschichte (über die ich hier nichts verraten will), gleich halb so lang ist das Nachwort, das mit teutonischem Furor wettzumachen sucht, was ihm an Geist fehlt. Georg Klein arbeitet sich mit einer Wut an Mark Twain ab, die nur verwundern kann. Twains ethnologische Betrachtungen Europas nennt Klein „manchmal geistreiche, oft schamlos rüde und nicht selten plump klischeehafte Attacken gegen die Europäer und ihre angeblichen Nationalcharaktere“. Wenigstens ein einziges, seine ihrerseits grobe These stützendes Zitat dürfte Klein seinen Lesern schon zumuten, doch das lässt er lieber bleiben. Klein behauptet jede Menge und belegt nichts: „Wer nur ein Dutzend von Twains Gelegenheitsarbeiten gelesen hat, weiß, wie tief dieser Autor trotz seiner Ansprüche sinken konnte, wenn der Augenblick oder ein Auftraggeber kurzfristig etwas von ihm verlangte.“ Wer so apostelhaft auftrumpft, ohne auch nur den Hauch eines Beweises anzuführen, muss sich fragen lassen, was denn seine Motive für die postume Attacke gegen einen weltberühmten großen Kollegen sind.

Warum läuft Herr K. Amok? Was ärgert den Nachwuchssenior von Klagenfurt so an Twain, dass er mehr als 90 Jahre nach dessen Tod auf ihn loslamentiert, als gelte es das Leben? „Grelle Witze“ und „schlichte Berechnung“ hält der Nachwortler Klein dem Erzähler Twain vor, der überdies „in seinen Texten die Schranken eines fundierten und ausgewogenen Urteils“ nur selten gewahrt habe. Huch – kein ausgewogenes Urteil? Das ist ja schrecklich! Von teufelandiewandmalerischen Stilmitteln wie Übertreibung und Zuspitzung scheint Klein noch nichts gehört zu haben. Wenn in Deutschland einer über Satire schreibt, weiß er meist nicht einmal, was das ist. So auch Georg Klein: „Wie immer, wenn ihm etwas wirklich wichtig ist, kann das Feigenblatt des satirischen Witzes die Blöße von Twains Wut nicht decken“, behauptet er. Wer Satire für einen Witz hält oder für ein Feigenblatt, soll Witzbold heißen und an den Feigenblattern zugrunde gehen. George Bernard Shaw beschrieb Mark Twains Arbeitsweise genau: „Er muss die Dinge so darstellen, dass die Leute, die ihn andernfalls hängen würden, glauben, er mache Spaß.“

Unfreiwillige Späße dagegen macht Georg Klein – der Mann schreibt Sätze, wie Mark Twain sie hätte ersinnen können, als er sich über einige spezifische Idiotien der deutschen Sprache lustig machte: „Wenn man die kausale Folge der Ereignisse in einer realistischen Erzählung mit einem menschlichen Gebiss vergleichen darf, dann geht es darum, letzte Zahnlücken in diesen Kiefern, in ihrem Realismus-Konzept, zu schließen.“ Hut ab – vielleicht erbarmt sich eines Tages ein Übersetzer dieses aufgeblasenen Wortgetümels. Am Ende wird der saure Klein sogar noch unangenehm gönnerhaft und beugt sich zu Twain herab: „Fast möchte ich ihn, … über ein Jahrhundert hinweg, zum Ehreneuropäer ernennen.“

Das ist Mark Twain gerade noch erspart geblieben. Von Twain, der so schreiben konnte, dass der liebe Gott Grund zum Neidischsein gehabt hätte, gibt es bis heute keine vollständige deutschsprachige Gesamtausgabe. Der spätberufene Georg Klein, seit Klagenfurt als literarisches Entdeckungshäppchen herumgereicht, hat einiges nachzuholen im deutschen Literaturbetrieb. Dass man dazu nicht unbedingt schreiben können muss, wird dabei hilfreich sein.

WIGLAF DROSTE