PRO: EINWANDERUNGSGESETZ HEBT POLITIK DER ABSCHOTTUNG AUF
: Unwiderrufliche Öffnung

Wenn es Rot-Grün tatsächlich gelingt, kurz vor der Wahl ein Zuwanderungsgesetz durchzusetzen, das diesen Namen verdient, dann wäre das ein politischer Triumph. Für den Kanzler, weil er seinen Gegenkandidaten blamiert, der ein solches Gesetz verhindern wollte. Aber auch für die Grünen, weil sie mit ihrer langen und zähen Vorbereitungsarbeit entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich Deutschland endlich von uralten Ressentiments verabschiedet und ein modernes Einwanderungsrecht bekommt. Eine radikale Abkehr von der bisherigen Abschottungspolitik erreicht zu haben wäre höher einzuschätzen als der langsame Einstieg in den Atomausstieg.

Natürlich wird das neue Gesetz nicht perfekt sein. Natürlich werden viele enttäuscht sein, die sich von Rot-Grün ein liberaleres Flüchtlingsrecht erhofft hatten. Jetzt aber zu behaupten, die machtgeilen Grünen seien wieder einmal auf der ganzen Linie umgefallen, ist nicht nur ungerecht, sondern falsch. Vorausgesetzt, es bleibt bei den jetzt erfolgten Zugeständnissen, ist das Zuwanderungsgesetz immer noch ein Zuwanderungsgesetz – und kein Begrenzungsgesetz, wie es die Union verlangte.

Ob das Nachzugsalter bei 12 oder 14 Jahren liegt, kann angesichts der Zahl der wirklich Betroffenen nicht das entscheidende Kriterium für die Qualität des Gesetzes sein. Auch der Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung wird durch die Änderungen nicht gravierend verschlechtert – eine Ausweitung des Asylrechts war nie ernsthaft im Gespräch, der Abschiebeschutz bleibt auch im neuen Entwurf erhalten. Wichtiger als die eher symbolischen Zugeständnisse an die Union ist es, Ermessensspielräume bei echten Härtefällen zu schaffen. Das ist gelungen. Eine „Begrenzung“ der Zuwanderung als einziges Gesetzesziel wird es nicht geben.

Das Signal, das von diesem Gesetz ausgeht, heißt trotz aller Änderungen: Ja, Deutschland hat kapiert, dass es ein Einwanderungsland ist und in Zukunft sogar noch mehr Einwanderung braucht. Die Zeit der widerwillig erlaubten Anwerbestopp-Ausnahmeverordnungen ist zu Ende, die Tür geht auf. Und zwar unwiderruflich. Egal wer nach dem September regiert, er wird diese Öffnung nicht mehr rückgängig machen. Schon gar nicht, wenn das Gesetz mit der Zustimmung von Unionspolitikern im Bundesrat beschlossen wurde. Auf diese Chance zu verzichten, weil das Gesetz nicht perfekt ist, wäre eine Bankrotterklärung. Die Regierung ist dazu da, jetzt Politik zu machen und das durchzusetzen, was möglich ist. Wer darauf vertraut, dass auch die Union als Regierungspartei irgendwann die Realität anerkennt und ein modernes Zuwanderungsrecht macht, ignoriert die Entwicklungen in Dänemark und Italien. LUKAS WALLRAFF