„Viele wünschen einen bewaffneten Messias“

Menschenrechtler Gustavo Callón zum Ende des „Friedensdialogs“ in Kolumbien und zur Gefahr von weiter zunehmender Gewalt

taz: Was ist der wirkliche Grund für die Beendigung des Friedensprozesses in Kolumbien?

Gustavo Callón: Der Grund ist schon im Beginn des Dialogprozesses angelegt. Als Präsident Pastrana noch Kandidat war, erkannte er, dass er mit dem Friedensversprechen die Wahlen gewinnen konnte. Dafür überließ er den Farc die entmilitarisierte Zone ohne jede Auflage. Das war ein schwerer Fehler. Prompt protestierte die Armee. Darauf versuchte Pastrana, im Nachhinein Bedingungen zu stellen. Mehrmals war er drauf und dran, den Dialog abzubrechen, weil die Farc auf seine Bedingungen nicht eingingen. Der Regierung diente diese Ablehung dann immer als willkommener Grund, den Friedensprozess in Frage zu stellen. Dasselbe passierte im vergangenen Januar. Die Regierung behauptet, die Überflüge der Luftwaffe seien ausgemacht gewesen. Das ist eine Lüge, aber sie erlaubte der Regierung, die Farc als vertragsbrüchig hinzustellen.

Aber nicht alle Vorwürfe sind erfunden.

Nein, die Farc haben die Zone zu allen möglichen Dingen missbraucht. Sie planten dort Offensivaktionen, hatten Ausbildungslager und verwahrten dort gefangene Soldaten. Sie kassierten Maut und warfen Leute, die ihnen nicht passten, hinaus. Andereseits ging die Regierung nie auf den Schutz der Menschenrechte ein. Sie förderte oder tolerierte die Ausbreitung der Paramilitärs. Das schlägt sich ganz deutlich in der Statistik der Opfer politischer Gewalt nieder. Vor zwei Jahren sprach man von zehn pro Tag. Jetzt sind es zwanzig. Und die meisten dieser Opfer gehen auf das Konto der Paramilitärs.

Im Caguán fürchtet man, dass die Paramilitärs jetzt einsickern und Rache üben werden.

Seit Monaten sammeln sie sich an den Grenzen der entmilitarisierten Zone. Ich habe keinen Zweifel, dass die Armee ihr Eindringen zulassen wird, obwohl General Tapias das Gegenteil behauptet. Aber das war immer die Politik der Regierung und der Armee, die Paramilitärs zu schonen beziehungsweise sie aktiv zu fördern.

Ist denn eine Verständigung noch zu retten?

Ich bin überzeugt, dass jeder neue Friedensprozess auf gegenseitige Achtung der Menschenrechte gegründet sein muss. Ich glaube aber, dass es lange dauern wird, bis die Zeit wieder reif ist für Verhandlungen. Manche Leute setzen Hoffnungen auf die Zeit nach der Präsidentschaftswahl am 26. Mai. Aber sowohl die Armee als auch die Bevölkerung haben so positiv auf den Abbruch der Gespräche reagiert, dass ich hier in nächster Zeit keine Voraussetzungen für neue Verhandlungen sehe.

Welchem der Präsidentschaftskandidaten nützt diese Situation?

Álvaro Uribe Vélez hat in den letzten Wochen in allen Umfragen stark zugelegt, weil er sagt, man soll nicht verhandeln. Die Leute wünschen sich einen bewaffneten Messias, der mit der Gewalt aufräumt. Manche meinen, Pastrana nimmt jetzt bereits vorweg, was Uribe versprochen hat, und das könnte dessen Aussichten wieder verschlechtern. Ich glaube aber eher, dass die Position von Uribe jetzt aufgewertet wird. Bis zu den Wahlen wird es wahrscheinlich alle mögliche Zwischenfälle geben, die eine bewaffnete Lösung attraktiv machen.

Muss man also mit Guerillaoffensiven vor allem in den Städten rechnen?

Ich denke schon. Das hat ja schon im letzten Monat begonnen. Trotzdem wird vor allem die Landbevölkerung in den Einflusszonen der Farc besonders leiden. Die Armee und die Paramilitärs werden sich frei fühlen, gegen eine Zivilbevölkerung, die sie für Sympathisanten der Farc hält, vorzugehen. Es gibt ja schon mindestens drei zivile Opfer im Caguán, über die die Luftwaffe nicht sprechen will. Von gefallenen Guerilleros weiß man nichts. Die Kombattanten haben meistens weniger zu befürchten. Am meisten leiden die Zivilisten.

INTERVIEW: RALF LEONHARD