Endstation Überdruss

Puchers Tschechow-Trilogie am Schauspielhaus: Dekadenz des russischen Adels als Symptom perspektivloser heutiger Jugend  ■ Von Nikola Duric

Zuerst einmal gilt es zwei Miss-verständnisse, die den Theaterregisseur Stefan Pucher begleiten, aus dem Weg zu räumen. Danach erst kann geklärt werden, warum Tschechow wunderbar, Büchner aber nur bedingt der Bühnensprache Puchers entgegenkommt. Denn Tschechow in Puchers Regie wird jetzt dreimal am Schauspielhaus zu sehen sein: Auf den Kirschgarten, ein Gastspiel des Theater Basel, folgen die Hamburger Produktion Die Möwe und Drei Schwestern, gegeben vom Schauspiel Zürich.

Doch zunächst zur Pucher-Mythenbildung: Um es sich einfach zu machen, hatte die Theaterkritik Mitte der 90er Jahre Pucher schlicht der aufstrebenden Gießener Schule zugerechnet. Doch das stimmt nur bedingt: Pucher ist zwar in Gießen geboren, studiert hat er aber an der Film- und Theaterschule in Frankfurt, bei H. T. Lehmann. Trotzdem ist die Verbindung Gießen-Frankfurt von Bedeutung: Lehmann hat das Gießener Institut für angewandte Theaterwissenschaft mitbegründet, bevor er nach Frankfurt ging. Und Pucher arbeitete während des Studiums mit Studenten aus Gießen zusammen.

Doch letztlich verband die Theaterinstitute Gießen und Frankfurt etwas ganz anderes als diese Details: Stefan Pucher durchlief dieselbe „Schule des Sehens“ wie die Gießener, und zwar am TAT in Frankfurt. Seit Beginn der 90er zeigte der künstlerische Leiter Tom Stromberg dort Stücke von Wilson, Lauwers und Fabre. Auch die Wooster Group war häufig zu Gast, ebenso Rosas und Teschegawara. Dieser Theater-Main(!)-Stream, ist der gemeinsame Nenner für viele Gruppen und Regisseure, die inzwischen einen Teil des etablierten Theatersystems bedienen. Dort lernten die heute nachrückenden Theatermacher den respektlosen Umgang mit Originaltexten und das intellektuelle Spiel mit zeitgenössischen Themen.

Das zweite große Missverständnis liegt in der Annahme, Pucher sei ein Pop-Theater-Regisseur. Das Label „Pop-Theater“ wurde vom bürgerlichen Theaterbetrieb selbst eingeführt, um Arbeiten der jüngeren Generation auf die Bühne bringen zu können, die keinen Sturm auf die Institutionen veranstaltete, wie es zuvor Peymann und Co. getan hatten. Diese inzwischen betagten Regisseure denken allerdings nicht an Ruhestand, sondern halten an ihren sicheren Positionen fest.

Also erfand man, um Neuem Raum zu geben, ein Genre, das junges, vermeintlich unbekümmertes Theater bezeichnet. Das Label „Pop“ ist dabei auf manche Art marketingwirksam: Es bedeutet Jugend, Aufbruch, überwindbare Melancholie auf der einen Seite und Hysterie auf der anderen. Die Forderung, dass Nachwuchsregisseure Pop-Theater zu machen hätten, bedeutet, dass sie sexy und glamourös, schnell und populär sein sollen. Auch Scheitern ist erlaubt.

Puchers Theatersprache bedient zwar bis zu einem gewissen Grad diese Klischees, unter der Oberfläche lauert jedoch ein tiefgründigeres Thema, nämlich die Irrungen und Wirrungen der Gegenwart. Pucher hat nichts mit dem konstruierten System von Boy-Bands gemein, deren inszenierter Lässigkeit ein brutales, kapitalistisches Kalkül zu Grunde liegt. Denn wenn Pucher Pop sagt, meint er Rolf Dieter Brinkmann und Neil Young. Brinkmann schrieb einmal, dass er Gedichte leicht verständlich machen wolle „wie Songs ... aus der Sprache und den Festlegungen raus“.

Ungefähr so funktionieren auch Puchers Tschechow-Inszenierungen. Dort reden alle aneinander vorbei. Und wie der dem Untergang geweihte Hochadel bei Tschechow kämpft die heutige Jugend mit vagen Perspektiven und dem Gefühl, überflüssig zu sein. Ihr Elan ist gefragt, nicht aber sie selbst.

Pucher überträgt den blaublütigen Müßiggang aus Tschechows Zeit eins zu eins auf die heutige urbane Gegenwart. Und weil Puchers Theatersprache schon zynisch und demaskierend ist, gelingt ihm der Umgang mit Büchners wuchtiger Prosa – jüngst hat er am Schauspielhaus dessen Leonce und Lena inszeniert – nicht so recht. In Tschechow aber hat er einen Bruder im Geiste gefunden.

Dienstag, 5.3.: Der Kirschgarten; Mittwoch, 6.3.: Die Möwe; Donnerstag, 8.3. sowie Freitag, 9.3.: Drei Schwestern, jeweils 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus