Die Erfahrung ganz allein zu sein

Zwei Mal wurde Désiré P. in Marzahn angegriffen – wegen ihrer Hautfarbe. Ab heute stehen drei der Täter vor Gericht. Den Ermittlern vertraut die 22-Jährige jedoch nicht mehr. Akten verschwanden und sie wurde nicht als Zeugin geladen

An den „Aufstand der Anständigen“ glaubt Désiré P. schon lange nicht mehr. Aber auch ihr Vertrauen in die qua Profession und Beamtenstatus Zuständigen hat in den vergangenen eineinhalb Jahren ziemlich gelitten. Womit alles anfing? Die knapp 1,60 cm große Studentin der Afrikawissenschaften zuckt mit den Schultern. Dass sie als Tochter eines äthiopischen Vaters und einer deutschen Mutter auch elf Jahre nach der Wiedervereinigung noch in einem östlichen Randbezirk lebt? Dass ihre zierliche Statur auf potenzielle Angreifer nicht sonderlich abschreckend wirkt?

Manchmal, sagt die 22-Jährige, träfen sie die Worte, die ihr hinterhergerufen, -gezischt oder -getuschelt werden, mehr als alle Schläge. „Obwohl ich weiß, dass ich kein ‚Stück Dreck‘ und keine ‚Niggerhure‘ bin, komme ich an schlechten Tagen nicht gegen die Gewalt dieser Begriffe an.“

Und manchmal sind die Worte auch Auftakt für Schläge. So wie am 15. August 2000. Ein Sommertag, mitten im „Aufstand der Anständigen“, am Marzahner S-Bahnhof Springpfuhl. In der Unterführung kommen drei scheinbar ganz normale junge Männer und zwei junge Frauen Désiré P. und ihrer Mutter entgegen. „Erst als der eine anfing, in meine Richtung zu schlagen, war mir klar, dass etwas passieren würde“, sagt Désiré P. fast tonlos. An die folgenden Minuten erinnert sie sich nur bruchstückhaft: An den Spruch, „du Scheißausländer hast hier nichts verloren“, und an „den Knall am Kopf“, als sie von einer fast vollen 1,5 Literflasche getroffen wird.

Nur weil ihre Mutter so laut geschrien hat, sei sie nicht, wie sonst oft in solchen Situationen „innerlich zur Salzsäule erstarrt“, erzählt Désiré P.. Die Angst um ihre 47-jährige Mutter, die damals wegen einer Hüftverletzung nur mit Krücken laufen konnte, sei „am schlimmsten“ gewesen. „Sie wurde nur angegriffen, weil den Männern klar war, dass sie zu mir gehörte.“

Weder Passanten – „die haben einen großen Bogen um uns gemacht“ – noch das Personal der nahen BVG-Verkaufsstelle kamen zur Hilfe. Doch das wunderte Désiré P. da schon nicht mehr. Denn die Erfahrung, „ganz allein zu sein“, hatte sie am gleichen Ort schon vier Jahre zuvor gemacht. Da war sie vor den Augen mehrerer Passagiere in einem S-Bahn-Waggon von 15 Skinheads zusammengetreten worden.

Doch anders als an jenem Herbstabend 1997 stieß Désiré P. im Sommer 2000 auf Polizeibeamte, „die wirklich den Eindruck vermittelten, dass sie auf meiner Seite stehen“. Die fünf Angreifer wurden noch am gleichen Tag festgenommen. Denn der Angriff auf die Studentin und ihre Mutter stand am Ende einer Prügel- und Sauftour der Gruppe durch Marzahn. Doch der weitere Umgang der Berliner Justizbehörden mit dem Verfahren hat Désiré P.s Vertrauen in die Ermittlungsbehörden alles andere als gestärkt. Zunächst verschwand die Akte im November 2000 spurlos. Als sie mehrere Monate später wieder auftauchte, hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen eine der ebenfalls am Angriff beteiligten Frauen eingestellt. Von den drei polizeibekannten jungen Männern im Alter von 17 bis 21 Jahren wurde lediglich einer wegen gefährlicher Körperverletzung und die anderen beiden wegen Beleidigung angeklagt.

Erfahren hätte Désiré P. das wahrscheinlich nie, wenn sie nicht darauf bestanden hätte, über eine Anwältin als Nebenklägerin an dem Verfahren beteiligt zu sein. Denn die Staatsanwaltschaft hat sie nicht einmal als Zeugin geladen. Und das Gericht verweigerte die Übernahme der Kosten für ihre Nebenklagevertreterin durch die Staatskasse.

Über 18 Monate nach dem Angriff ist es der jungen Frau mindestens genauso wichtig, dem Gericht wie den Tätern gegenüber zu sitzen. Durch ihre Mitarbeit in antirassistischen Initiativen weiß sie, dass viele Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt noch Jahre nach der eigentlichen Tat mit dem „Gefühl von Ohnmacht“ kämpfen. „Und je länger es bis zu einer Gerichtsverhandlung dauert, desto länger wird man in der Opferrolle festgehalten.“

Eine Erkenntnis, die sich offenbar nicht bei allen Ermittlungsbehörden in Berlin herumgesprochen zu haben scheint. So schleppt sich beispielsweise das Verfahren gegen ein Dutzend Berliner Neonazis, die im Juli 1999 einen Bus mit jungen Punks überfielen, seit nunmehr über zweieinhalb Jahren dahin. Obwohl in diesem Fall zwei Polizeibeamte als Zeugen vorhanden sind, und einer der beteiligten Rechtsextremisten schon rechtskräftig verurteilt wurde – allerdings in Brandenburg.

Désiré P. muss zumindest nicht mehr länger auf die Gerichtsverhandlung warten. Sie wird ab heute ihren Angreifern im Amtsgericht Tiergarten gegenübersitzen. HEIKE KLEFFNER