Damals, hinterm Mond

Im Zimmer mit Leonard-Cohen-Platten: Die Folk-Erneuerer Suzanne Vega und Lloyd Cole in Berlin

von DANIEL BAX

Schmal wirkt sie im dunklen Kleid, denkt man, aber das war sie schon immer. Und auch sonst wirkt alles vertraut, wie Suzanne Vega mit ihrer Band so da steht im Altarraum der überfüllten Passionskirche, deren Publikum wie die Jünger vor ihr sitzt und kniet. Man ertappt sich dabei, nach Details zu suchen, die auf eine Veränderung deuten, nach einer Unsicherheit oder einer spitzen Bemerkung. So wie bei einem Fußballspieler, der ja auch unter besonderer Beobachtung steht, wenn er nach langer Verletzung wieder genesen ist.

Klar, Suzanne Vega hat sich von ihrem Mann getrennt, dem Produzenten Mitchell Froom, der ihren letzten Alben mit Low-Fi-Elektronik einen rauen Schliff gegeben hatte. Und wie das immer so ist bei prominenten Beziehungen, ist das eine Nachricht, die den meisten geläufig ist – selbst jenen, die eigentlich seit Jahren, vielleicht seit ihrem 1997er-Hit „Luka“ nicht mehr von der blassen Sängerin mit dem strengen Pagenschnitt Notiz genommen hatten. Dass ihr Ehemann in Folge nun ausgerechnet bei Vonda Shepard, der Barsängerin aus der Ally-McBeal-Serie, gelandet ist, hat den News-Faktor ungemein erhöht. So wartet man heimlich auf einen Hinweis, auf ein geheimes Zeichen von Suzanne Vega, das Bezug nimmt auf ihre Scheidung.

Vergebens, natürlich. Tatsächlich bleibt während ihres Konzerts fast alles ausgeklammert, was an die letzten zehn Jahre erinnern könnte, kaum Anleihen an ihre Alben mit Mitchell Froom. Stattdessen gibt es eine wohlige Rückkehr zum Repertoire ihrer ersten beiden Alben aus den Achtzigern und zu den entsprechenden Erinnerungen: Suzanne Vega erzählt von ihrer ersten Liebe im Zeltlager, der sie eines dieser Stücke gewidmet hat und die ihr im Gegenzug ein Bandana-Stirnband schenkte. Der Adressat kam übrigens aus Liverpool, und als sie ihn später einmal besuchte, entstand dort ihr Song „In Liverpool“. Das mache schon zwei Stücke, sagt sie sarkastisch: Ob er das wohl verdient habe?

Das ist alles nicht besonders neu, aber trotzdem schön – oder gerade deswegen? Merkwürdig, wie stark bei vielen Künstlern oft die Aura ihrer frühen Stücke ist: Sind sie nur in der Erinnerung präsenter, weil Stil und Stimme zu Anfang eben neu und unbekannt waren? Oder besitzen sie tatsächlich größere Frische, die sie von späteren Kompositionen abheben – eben weil ihre Autoren damals noch naiver und unmittelbarer waren, damals hinterm Mond, um es mit einem anderen Songtitel zu sagen?

Am Abend zuvor war Lloyd Cole im Quasimodo zu Gast gewesen – noch so jemand, der seine Jugend in der Kammer verbracht hat, eingesperrt mit zu vielen Leonard-Cohen-Platten. Auch er wurde wie Suzanne Vega Anfang der Achtziger als Wunderkind und Folk-Erneuerer gefeiert und ist heute ein tapferer Überlebender; fünf Jahre lang war er sogar ohne Plattenvertrag. Im Quasimodo zog er, allein auf dem Barhocker und ein wenig pausbäckig geworden, charmant und mit viel milder Selbstironie Bilanz. Spielte ein Stück von „Bad Vibes“, nicht ohne es „eines meiner schlechtesten Alben“ zu nennen: „Gebt zu, ihr habt es nicht gekauft. Ich habe die Zahlen gesehen!“. Spielte seinen eher rockigen Hit „She’s a girl and I’m a man“ und bekannte, man habe damals im Studio geglaubt, ein wenig wie The Clash zu klingen. Aber, „oh nein, wir klangen nicht wie The Clash“. Und erwähnte während „Lost Weekend“ unvermittelt an der Stelle, wo gewöhnlich das Klavier einsetzt: „Gott, ich hasse diesen Piano-Part.“

Tröstlich, dass in solchem Sarkasmus keinerlei Bitterkeit mitschwang. Dabei waren zu diesem Zeitpunkt die Besuffskis am Tresen, die anfangs noch leise mitgesungen hatten, längst zum lautstarkem Grölen übergegangen – ohne Rücksicht auf den Rest des Publikums, das sie dafür mit langen, traurigen Blicken bedachte: melancholisch, im Wissen um das eigene Unvermögen.