Zuckungen im Portemonnaie

Heute ist der letzte Umtauschtag für die D-Mark. Die Eurodemie ist nicht mehr zu stoppen

„Euroumstellung erfolgreich abgeschlossen“, „Euro nun auch psychologisch angenommen“, „Euro völlig eingebürgert“ – das sind die Schlagzeilen der letzten Tage. Die Umtauschfrist für die letzten D-Mark-Bestände läuft heute aus, und mit landesweitem Schulterklopfen wird die zurückliegende Geldwechselaktion abgeschlossen. Doch es mehren sich Anzeichen, dass es so reibungslos, wie es den Anschein hat, nicht läuft. „Das Geld ist da, keine Frage“, sagt etwa der Münchner Amtsarzt Horst Klormayr, „aber es gibt Leute, die innerlich damit nicht klarkommen. Das Problem ist in ihnen.“

So wie Klormayr sind inzwischen zahlreiche Ärzte und Psychologen mit den intern unter dem Namen „Eurodemie“ versammelten Symptomen beschäftigt. Überall läuten die Alarmglocken. „Hier tun sich“, heißt es im aktuellen Rundschreiben der Kassenpsychologischen Vereinigung, „völlig neue Krankheitsbilder auf, die wir im Moment nur beobachten können.“ Sogar bei der Bundeswehr ist man hellhörig geworden. „Wir registrieren eine Reihe von posttraumatischen schizogenen Schüben“, meldet die Oberstabsarztleitung Berlin, „wie Kriegsverletzungen, aber ohne Krieg.“

Die Experten unterscheiden drei Gruppen von Krankheiten, die vorläufig unter Kategorien wie „Eurosymptomanie“, „klassische Eurodemie“ und „Euronymie“ einsortiert werden. „Eurosymptomanie“, berichtet der Münchner Amtsarzt, „treffen wir an bei Patienten, die seit der Euroumstellung Phantomschmerzen, also das Gefühl haben, die Mark sei ihnen amputiert worden.“ Bei Wetterumstellungen, Stress und während des Schlafens spüren die Betroffenen Schmerzen, Hitze- und Kältewallungen sowie Zuckungen in ihrer Brieftasche – als wäre die Mark noch da. „Wenn sie dann aber ihre Geldbörse nehmen und nachschauen, kommt“, so Klormayr, „der Schock. Wir behandeln sie momentan mit Mark-Prothesen, meinen aber, dass eine psychologische Begleitung unverzichtbar bleibt.“

Die unter der so genannten „klassischen Eurodemie“ Leidenden haben ein anderes Problem. Sie stehen unter dem Zwang, die mit der Euroumstellungen verbundenen ständigen Verdoppelungs- und Halbierungs-Rechenoperationen auf weitere Lebensbereiche übertragen zu müssen. „Das sind tragische Fälle“, sagt Klormayr. „Die Leute rechnen sich um Kopf und Kragen. Wenn sie Fahrstuhl fahren und in den vierten Stock müssen, drücken sie den zweiten oder achten. Wenn sie sich um sechs Uhr verabreden, kommen sie schon um drei. Bei Zugreisen steigen sie bereits nach der Hälfte der Strecke aus. Am Ende sind diese Leute verwirrt, sozial isoliert und ein Fall für die Psychiatrie.“ Einer habe sogar die Hälfte seiner Schuh- und Sockenpaare weggeworfen, weil er dachte, ihrer nicht mehr zu bedürfen.

Die dritte Gruppe der „Euronymiker“ leidet seit Anfang Januar unter einer Art Dauerwahn. Klormayr erklärt es so: „Weil die Geldumbenennung in alle Lebenswelten eingreift, glauben diese Menschen, auch alles andere umbenennen zu müssen. Die erfinden eine völlig neue Sprache mit Wörtern wie ‚Kreudo‘, ‚Seufo‘, ‚Stoibo‘ oder ‚Deutscho‘, und kein Schwein versteht sie mehr. Selbst ihren eigenen Namen ändern sie – aus Schmidt wird ‚Schmeudo‘ usw.“ Nach Ausbruch der Krankheit seien die Patienten praktisch nicht mehr ansprechbar und hätten die Eloquenz von Findelkindern.

Nicht auszudenken, was passiert, wenn diese Krankheiten epidemisch werden. „Deutschland würde“, prophezeit Amtsarzt Horst Klormayr, „binnen kurzem eine nationale Irrenanstalt sein – aber ohne Arzt.“ Im Bundesgesundheitsministerium versucht man, die Bedrohung herunterzuspielen. „Wir wissen seit längerem“, sagte ein Sprecher, „dass Geld ansteckend ist. Aber wir arbeiten darauf hin, dass die Leute immer weniger davon in der Tasche haben.“ Na, dann ist ja alles halb so schlimm.

RAYK WIELAND