Vorne Windows, hinten Linux

Der Bundestag ließ Betriebssysteme testen: Open Source ist stabil und sicher, aber nicht zumutbar für die tägliche Büroarbeit der Parlamentarier. Das will der Rechnungshof nicht ganz einsehen, denn mit Linux auf jedem PC ließe sich viel Geld sparen

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Der Ältestenrat des Bundestages will morgen die Frage entscheiden, die seit Monaten zu heftigen Diskussionen unter den Abgeordneten führt: Sollen die rund 5.000 Computer des deutschen Parlaments, die mit der Software des Hauses Microsoft betrieben werden, auf das freie Betriebssystem Linux umgerüstet werden?

Seit die Initiative „Bundestux“ für diese Lösung wirbt, müssen sich auch Politiker mit abgrundtiefen Grundsatzfragen von Netzwerken und Betriebssystemen beschäftigen. Die Maschine, die sie eigentlich nur für ihre tägliche Arbeit benutzen wollen, schien plötzlich selbst zum Politikum geworden. Im Aufruf der Initiative war immerhin zu lesen, es sei „geradezu die Pflicht eines demokratischen Staates, auf freie Software zu setzen“. Denn nur das „von sehr vielen Programmierern dezentral“ entwickelte Betriebssystem mache eine „gesellschaftliche Überprüfung und Verbesserung von Programmen“ möglich und nur damit könne „der uneingeschränkte Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zu öffentlichem Wissen und zum öffentlichen Sektor rational und kostengünstig realisiert werden“.

Elektrisierte Begeisterung für Linux

Die etwas wolkige Predigt eines „erweiterten Demokratieverständnisses“ fand überparteilichen Anklang, und das keineswegs nur bei profilsüchtigen Hinterbänklern. Auch Ernst Ulrich von Weizsäcker, Sozialdemokrat und Vorsitzender der Enquetekommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“, war „elektrisiert“ und schrieb der Initiative ins Gästebuch: „Ich würde mich freuen, wenn die Entscheidung für Linux ausfiele“. Weitaus markiger und dem Herzensanliegen der Open Source-Bewegung näher kam der weniger prominente CSU-Abgeordnete Martin Mayer zur Sache: „Noch ist es Zeit, in Europa die Weichen zu stellen und eine übereilte Ausdehnung der Patentierbarkeit von Software zu verhindern. Es darf zu keiner Stärkung weltweiter Monopole und nicht zum Aufbau neuer, feudalherrschaftlicher und kolonialer Machtstrukturen im Informationszeitalter kommen.“

Als Microsoft gegen solche Vorwürfe ebenfalls öffentlich Stellung nahm, sah sich der unvermeidliche Jörg Tauss verlanlasst, beim Bundespräsidenten schriftlich gegen den „Lobbyismus“ der Firma von Bill Gates zu protestieren. Solche Versuche, Druck auf Parlamentarier auszuüben, schrieb der Sozialdemokrat empört, seien möglicherweise in den USA üblich, in Deutschland jedoch könnten sie nicht hingenommen werden. Der „virtuelle Ortsverein“ der SPD schließlich sah schon den Geheimdienst hinter jedem Mausklick lauern. „Bei Microsoft-Produkten“ schreibt der Klub der digitalen Genossen, „kann nicht sichergestellt werden, ob nicht Microsoft oder amerikanische Behörden unbefugterweise Daten des Deutschen Bundestages lesen.“

So hätte der Streit jenseits jeder sachlichen Substanz munter weitergeführt werden können, wäre der Ältestenrat nicht auf die bewährte Idee gekommen, eine Kommission einzurichten und eine Studie in Auftrag zu geben. Auch die Bundestagsverwaltung schritt zur Tat: Mit Hilfe von Microsoft auf der einen, IBM und dem deutschen Linux-Entwickler Suse auf der anderen Seite ließ sie beide Betriebssysteme testen.

Die Probeläufe ergaben, was Fachleute ohnehin schon lange vorausgesagt haben. Beide Systeme erwiesen sich als hinreichend stabil, beide Plattformen könnten daher „bei entsprechender Vorbereitung sowie angemessenem Mittel- und Personeneinsatz zum Einsatz gebracht werden“, heißt es in dem Abschlussbericht der Verwaltung. Die besonderen demokratischen Vorzüge der freien Programmentwicklung kamen bei den Vorführungen aber offenbar nicht richtig zur Geltung, vielmehr haben die Tester bei Linux zahlreiche lieb gewordene Gewohnheiten des Windows-PC vermisst.

Auch die Studie der vom Ältestenrat beauftragten Firma „Infora“ kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Prüfer nahmen gleich fünf verschiedene Konfigurationen des künftigen Rechnerparks im Berliner Bundestag unter die Lupe und gaben für die Verteidiger der freien Software ein niederschmetterndes Urteil zu Protokoll: Auf dem letzten Platz landete die reine Linux-Variante. Die Konfiguration dagegen, die alle erforderlichen Funktionen wie bisher auf einer reinen Windows-Plattform zusammenfasst, erreichte den zweiten Platz. Noch günstiger nach den Kriterien der Machbarkeitsstudie erwies sich lediglich die Lösung, den Mailserver des Bundestages und die Server für den verteilten Zugriff aus mehreren Arbeitsplätzen auf Dokumente in Arbeitsgruppen („Groupware“) mit dem Betriebssystem Linux auszurüsten.

Aber selbst für diese abgemagerte Version möchten die Autoren der Untersuchung den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern keine Linux-PCs zumuten. Sie meinen, die Umstellung auf die immer noch spröde Arbeitsoberfläche von Linux sei kaum zumutbar und nur mit unverhältnismäßig hohen Umschulungskosten durchsetzbar. Sämtliche Arbeitsplätze sollen daher auch weiterhin mit Windows ausgerüstet werden; für die Kombination der Arbeitsstationen mit Open-Source-Programmen im (unsichtbaren) Hintergrund spricht in den Augen der Prüfer lediglich der Umstand, dass die Maildienste von Microsoft besonders große Sicherheitsmängel aufweisen.

Würde der Ältestenrat der Empfehlung der von ihm beauftragten Firma folgen, könnte er damit der Open-Source-Gemeinde zu einen Achtungserfolg ihrer Kampagne verhelfen. Immerhin könnte sie in Zukunft damit werben, dass deutsche Bundestagsabgeordnete ihre Mail zwar nicht gerade mit Linux schreiben, wohl aber versenden und empfangen. An den politischen Zielen der Initiative gemessen, wäre das zwar zu wenig, entspräche aber ungefähr der Realität. Auch andere Untersuchungen haben ergeben, dass Linux ein hervorragendes System für professionelle Anwender mit überdurchschnittlich hohen Kenntnissen ist.

Microsoft-Monokultur nicht mehr tragbar

Die Kombination von freier Software auf den Servern, die leicht und billig an die jeweils besonderen Anforderungen eines Betriebes oder einer Institution angepasst werden können, mit Windows auf den Geräten am Arbeitsplatz könnte zum Vorbild werden. Doch ausgerechnet der Bundesrechnungshof stellt diese pragmatische Lösung des ideologisierten Konflikts in Frage. In einem ausführlichen Prüfbericht für das Innenministerium finden die Rechnungsprüfer lizenzfreie Linux-Arbeitsplätze zumutbar und empfehlen dringend die Umstellung der gesamten Bundesverwaltung auf freie Software. Die Büroanwendungen für Linux, heißt es in dem Bericht, „haben ein Niveau an Benutzerfreundlichkeit und Leistungsfähigkeit erreicht, das mit bisher im Officenereich eingesetzter Software vergleichbar ist“. Auch der Aufwand für die Umschulung sei „annähernd gleich“, daher sei die heute noch vorherrschende „Monokultur“ von Microsoft nicht mehr vertretbar. Open Source biete eine größere „Herstellerunabhängigkeit“, und die Bundesverwaltung könne runde 100 Millionen Euro einsparen, schätzt der Rechnungshof.

Dumm nur, dass die Firma Sun ausgerechnet in dieser Woche angekündigt hat, sie werde die neueste Version ihres Büropakets „Star-Office“ in Zukunft auch für Linux nicht mehr kostenlos anbieten. niklaus@taz.de