Bremens Investitions-Lücke beträgt 5 Milliarden

■ Interview mit dem Bremer SPD-Politiker und Unternehmensberater Gerd Markus, über Bremens Probleme

taz: Der Mutterkonzern der Stadtwerke, Essent, ist unzufrieden mit der Situation der Stadtwerke. Es gibt Gespräche mit der EWE in Oldenburg. Als die Stadtgemeinde Bremen ihre Anteile verkaufte, war das ausdrücklich nicht gewollt worden, damit der Standort nicht von Oldenburg aus dirigiert wird. .

Gerd Markus: Ich weiß nicht, was die wollen. Das Problem an der Stelle ist: Wie viel Einfluss hat Bremen noch, nachdem es verkauft hat? Sie haben Produktionsvermögen weggehen lassen. Jetzt disponieren andere über die Arbeitsplätze. Das ist nicht witzig. Da geht es um eine Grundsatzfrage: Verkauft man öffentliches Eigentum an Produktionsvermögen nach außen?

Wir sollten einmal nach Hamburg gucken, das tut nicht so weh als wenn man in den Spiegel gucken muss. Hamburg hat seine Stadtwerke, heißt da HEW, an den Schwedischen Konzern Vattenfall verkauft. Und jetzt hat der Hamburger Senat plötzlich Schiss, dass ihm nicht nur die Medien-Branche nach Berlin abzieht, sondern auch die Arbeitsplätze bei den Stadtwerken verloren gehen. Denn Vattenfall hat auch die Bewag-Anteile gekauft und will Synergiepotentiale nutzen, wie es so schön heißt. Da sieht man: Man verkauft eben nicht beliebig.

Sie sind gegen Privatisierung?

Das kommt drauf an. Man verkauft in der Lage, in der sich das Land Bremen wirtschaftlich befindet, höchstens bis 50,1 Prozent. Dann hat man noch Einfluss auf Standortentscheidungen. Das ist das Problem in Bremen. Solange die Politik nicht darauf achtet, sieht es nicht gut aus. Ich hatte gedacht, eine große Koalition würde da eine kluge Politik machen. Naiv. Da sitzt einer, der kennt die ganzen Eigentümer von Beck & Co, seit Jahren, und hat eine politische Verantwortung für diese Region. Und der kriegt nichts hin, dass der Standort vielleicht richtig gesichert wird. Ist das nicht merkwürdig? Investoren, die nur nach Bremen kommen, um hier Perlen zu kaufen, die tun dem Standort nicht gut. Da sind vielleicht nämlich morgen Arbeitsplätze weg.

Im Falle Becks gehen zunächst nur Steuereinnahmen verloren.

Damit fängt es an.

Haben die Belgier nicht versprochen, den Standort zu halten?

Beten wir beide. Reden wir in zehn Jahren darüber. Im Falle der Stadtwerke sind wir schon kein Strom-Produktionsstandort mehr,.

Der Finanzsenator hat verkauft, was verkäuflich war, um seine Haushaltslöcher zu stopfen.

Das ist bei Produktionseigentum in der Lage Bremens die Dümmste aller Varianten. Bei dem Ziel, den Haushalt und den Standort zu sanieren, kann es doch nicht sinnvoll sein, Produktionsvermögen, das am Ort gebunden ist, nach außen zu geben. Beispiel HEW. Da muss man doch halten, was man hat. Das Argument Haushaltslöcher bringt doch nur Einmal-Effekte.

Der Finanzsenator meldet unverdrossen: Bremen auf Sanierungskurs.

Es gibt eine einfache Bilanz der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, zusammengetragen vom Statistischen Landesamt. Danach betrug das Bruttoanlagevermögen der bremischen Wirtschaft, Bezugsjahr ist 1999, insgesamt 172 Milliarden Mark. In dem Jahr kamen etwa 13 Milliarden Mark an Investitionen dazu, Abschreibungen und Gewinn-Entnahmen lagen in der Summe etwa bei 18 Milliarden Mark. Da klafft eine Lücke von fünf Milliarden, diese Tabelle zeigt etwas ganz Scheußliches, nämlich das Kernproblem der Bremischen Wirtschaftsentwicklung. Normal wäre ein Gleichgewicht von Gewinnen und Abschreibungen einerseits und Investitionen andererseits. So aber fehlen mehrere Milliarden Investitionsnachfrage jedes Jahr. Jetzt weißt du, warum es uns hier dreckig geht.

Diese Statistik hat der Finanzsenator offenbar nie gesehen. Das Problem ist doch, dass die Nachfrage am Standort nicht ausreicht. Wir produzieren hier viel, aber das Geld fließt raus aus der Region. Zweitens erweitern wir unsere Kapazitäten nicht ausreichend schnell.

Wieso redet Perschau alles gut? Jetzt hat der Kanzler sogar einen schönen Brief geschrieben.

Wenn man Christ ist, hofft man auf das gute in der Welt. In einem Punkt hat er Recht: Solange der Kanzler Stimmen braucht und die einkauft, ist alles Bestens. Bei der Zustimmung zur Steuerreform hat Bremen richtig abgesahnt. Aber der Kanzler hilft beim Standort doch nicht.

Ist dieInvestitions-Lücke dank des Investitions-Sonder-Programmes (ISP) kleiner geworden?

An der Investitionslücke hat sich nichts geändert. Das war schon so, als ich Ende der 80er Jahre im Rathaus Leiter der Planungsabteilung war. Das ist in den ganzen neunziger Jahren so weitergegangen, Jahr für Jahr.

Was kann man dagegen tun?

Da beginnt die Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Um Gottes willen nicht so viel Kapital aus der Region hinausfließen lassen! Wenn fünf Milliarden Mark mehr für private Investitionen in Bremen ausgegeben würden, könnten das bei DM 112.000 Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigem bis zu 45.000 Arbeitsplätze mehr bedeuten.

Es gibt eine Sache, die wirklich erfreulich ist. Die Landeszentralbank hat eine Untersuchung der ausländischen Direktinvestitionen herausgegeben. Daraus geht hervor, dass deutlich mehr ausländisches Firmenkapital in Bremen investiert wird, also herein fließt, als von Bremer Unternehmen ins Ausland investiert wird, zu deutsch:. hinausfließt. Das ist auch so, wenn man die Firmen-Käufe wie Stadtwerke oder Becks herausnimmt. Die Kurve gehr für Bremen richtig hoch, für die Bundesrepublik insgesamt geht sie herunter. Der Saldo liegt sogar schon bei 1,5 Milliarden Mark. pro Jahr.

Was bedeutet das für die Wirtschaftspolitik?

Wir müssen – erstens – Kapital akquirieren, um die Investitionslücke zu schließen. Das ist in der Auslands-Akquisition offenbar mit Erfolg gelungen. Wir müssen weiterhin Firmen herholen, die sich hier ansiedeln wollen, auch wenn sie am Anfang klein sind; nicht die, die sich nur einfach einkaufen wollen und dann Arbeitsplätze verlagern. Denen wird mit Einrichtungen wie dem World-Trade-Center geholfen. Die Frage ist, ob sie dann größer werden und in Bremen investieren, also etwas aufbauen. Das zweite Instrument, das man nutzen muss: Die örtliche Wirtschaft entwickeln. Man pflegt die kleinen und mittleren Unternehmen. Die gehen nicht gleich raus. Die halten das Kapital schön zusammen und investieren. Das läuft in Bremen mit gutem Erfolg. Technologiepark und Flughafen zeigen das. Und man darf – drittens – doch nicht das hier – öffentlich – gebundene Produktionskapital weggeben.

Die dunklen Wolken bleiben?

Die siehst du geradezu, zum Beispiel in der Faulenstraße. Die Diskussion, ob man die Hafenreviere mit der Innenstadt verbinden sollte, ist eine Witz-Diskussion, solange ich nicht einmal die Faulenstraße an die City heranbringe. Die Idee, Radio Bremen dahin ziehen zu lassen, ist nachvollziehbar. Aber das zeigt auch, wie hilflos man ist. Da muss man schon auf die eigenen Institutionen zurückgreifen, weil privates Kapital hier nicht ausreichend investiert. Wir haben dieselben Probleme am Hauptbahnhof.

Was bedeutet das für 2005?

So schnell geht das nicht, wir leiden da ja schon 20 Jahre darunter. Die Sanierungsaufgabe geht viel tiefer, als vielen bewusst ist.

Fragen: K.W.