Kluger Schmalhans

Schachweltmeister Ruslan Ponomarjow aus der Ukraine kämpft gewieft gegen den Argwohn der Konkurrenten

BADEN-BADEN taz ■ Die ersten fünf Wochen als jüngster Schachweltmeister aller Zeiten verliefen turbulent für Ruslan Ponomarjow. Kaum hatte der 18-Jährige im WM-Finale des Weltverbandes Fide seinen ukrainischen Landsmann Wassili Iwantschuk mit 4,5:2,5 geschlagen, begann der Ärger. Vor der WM in Moskau hatte Ponomarjow für das Turnier im spanischen Linares zugesagt. Doch plötzlich sollte der Vertrag über seine Teilnahme im „Wimbledon des Schachs“ nicht einmal mehr das Papier wert sein, auf dem er stand.

Die Konkurrenz schüchterte den jungen Burschen aus Kramatorsk offenbar ein. Sein Umfeld, vor allem die Fide-Oberen, fürchtete überdies, der frische Lorbeer des neuen Weltmeisters könne in Linares rasch welken. Angst ist eigentlich eher untypisch für den Spieler, der nahezu alle Rekorde brach, seit er mit sieben Jahren die ersten Schachfiguren in die Hände nahm: Als Ponomarjow mit elf ins Blickfeld der Experten geriet, prophezeiten sie dem schmächtigen Buben anhand seiner Partien, er trage den Marschallstab im Tornister. Vor allem die Reife der Spielanlage, die nichts Kindliches in sich barg, sondern der Logik Erwachsener folgte, verblüffte die Koryphäen. So gewann das Talent bereits mit zwölf die Junioren-EM und heimste das Jahr darauf den WM-Titel in dieser Altersklasse ein. Im Oktober führte er die Ukraine zur Mannschafts-WM. Der steile Aufstieg führte ihn im Januar in der Weltrangliste von Platz 20 auf 7.

Der schmalbrüstige, ja, beinahe zerbrechlich wirkende Ponomarjow, der während der anstrengenden WM auf unter einen Zentner abmagerte, ist ein zäher Verteidiger. Das nehmen ihm die Widersacher übel – vor allem, wenn sie dadurch den vermeintlich sicheren Gewinn gegen ihn verspielen. Selbst der sonst so beliebte, weil gutmütige Iwantschuk fing nach einer unerwarteten Endspielschlappe ob seiner verpassten Siegeschancen zu geifern an. Seine Niederlage sei ein „Mysterium“, und vor allem müsse Ponomarjow zeitiges Aufgeben lernen! „Ruslan hat bisher noch kein Superturnier gespielt. Deshalb weiß er nicht, dass es sich nicht lohnt, hoffnungslose Stellungen zu verteidigen. Es ist besser, aufzugeben und seine Nerven und Kräfte zu schonen“, behauptete Iwantschuk und gedachte ihm diese Lektion in Linares persönlich einzubläuen.

Vor dem Wettbewerb verschoss auch Garri Kasparow Giftpfeile. Der Weltranglistenerste hatte gehöhnt, er wisse nicht einmal, wie dieser Schwächling, der nur von der verkürzten Bedenkzeit bei der Fide-WM profitiert habe, in natura aussehe. Bei der Eröffnungsfeier in Linares setzte der russische Exweltmeister seine Psychotricks fort und würdigte den direkt neben ihm sitzenden Ponomarjow keines Blickes. Angesichts der Anfeindungen hatte der 18-Jährige das Turnier in Linares zunächst abgesagt. Eine angedrohte Schadensersatzklage in Millionenhöhe und die Garantie auf einen weiteren Einsatz im nächsten Jahr brachten ihn aber zum Umdenken.

Gleich in der ersten Runde traf er in dem andalusischen Örtchen wieder auf Iwantschuk – und schlug seinen ukrainischen Landsmann erneut. Nach vier der 14 Runden lag Ponomarjow allen Unkenrufen zum Trotz mit ausgeglichener Bilanz gleichauf mit seinen Vorgängern auf dem WM-Thron, Kasparow und dem Inder Viswanathan Anand.

Doch von den Altvorderen unterscheidet sich der Ukrainer: Als ihn der Weltranglistenvierte Michael Adams in der zweiten Runde niedergerungen hatte, reckte ihm der 18-Jährige keineswegs die Hand zum Zeichen der Aufgabe entgegen. Stattdessen platzierte der Weltmeister seinen Turm nach sechseinhalbstündigem Kampf absichtlich so, dass sein König in einem Zug matt zu setzen war. Angesichts solcher Selbstironie, die einem Kasparow völlig fremd ist, konnte sich der Spitzenreiter aus England ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen, ehe er zur Tat schritt und die Partie mit dem humorvollen Matt beendete. Heute steht für Ponomarjow der erste Vergleich mit Kasparow an. Auch ohne dessen missratenem Start mit mehreren Remis dürfte das prestigeträchtige Duell der zwei jüngsten Weltmeister der Schachgeschichte alles andere als lustig werden. HARTMUT METZ