Den Gegner selbstlos in Szene gesetzt

„Wenn du die spielen siehst, lacht das Herz“: Leverkusen verneigt sich nach der 1:4-Niederlage vor der hohen Fußballkunst von Arsenal London

aus London RONALD RENG

Am Ende jagte Zoltan Sebescen nicht mehr dem Ball, sondern nur noch einer schwarzen Mülltüte hinterher. Deswegen verpasste er einen Abschlag von Torwart Butt. Der Ball rollte ins Aus. Spätestens da kam am Mittwochabend auch dem letzten der 35.000 Zuschauer im Highbury-Stadion dieser Champions-League-Partie der Gedanke, den Bayers Trainer Klaus Toppmöller später aussprach: Leverkusen hat „hier verkehrt gemacht, was man verkehrt machen kann“.

Der 4:1-Sieg des Dritten der englischen Liga über den Tabellenführer der Bundesliga war nie Wettkampf, sondern nur ein Schönheitswettbewerb. Leverkusen beschränkte sich auf den Part, Arsenal gut aussehen zu lassen. Mit Fehlpässen und dauerhafter Unterlegenheit trug Bayer seinen Teil dazu bei, dass die Londoner, angeführt vom französischen Europameister Patrick Vieira im Mittelfeld, Angriffsfußball in voller Pracht bieten konnten. „Wenn du die spielen siehst, lacht das Herz“, sagte Toppmöller.

Mit dem 1:4 vervollständigte sein Team eine Arbeitswoche, die es mit einem 4:0-Sieg im Spitzenspiel über Borussia Dortmund begonnen hatte. In allen Extremen wies Leverkusen noch einmal nach, dass es diese Saison einen enormen Sprung nach vorne gemacht hat, aber dennoch einige wenige Mannschaften deutlich vor ihm stehen. Dem erstmaligen Gewinn der deutschen Meisterschaft ist man ebenso näher gekommen wie dem Aus in der Champions-League-Zwischenrunde.

Zwar wäre ein Aufstieg ins Viertelfinale mit einem Sieg gegen Juventus Turin und einem Unentschieden gegen Deportivo La Coruña noch möglich, aber dies nach solch einer Abfertigung auszusprechen schien selbst Toppmöller peinlich. „Wir haben noch Möglichkeiten, so blöd das jetzt klingt“, sagte er, um Minuten später einzugestehen: Wer wie Leverkusen bei sechs Gruppenspielen zweimal, beim 0:4 in Turin und nun in London, nur den staunenden Part übernimmt, „hat in so einer Gruppe keine Chance“.

Dass der brasilianische Verteidiger Lucio und Mittelfeldantreiber Michael Ballack mit Ballverlusten gegen Vieira gleich in den ersten sieben Minuten zwei Arsenal-Toren durch Robert Pires und Thierry Henry den Weg ebneten, sagt einiges: Die beiden besten Akteure dieser Saison patzten gravierend, und der Rest der Elf folgte ihnen auf dem Fuße. Herausgeragt haben aus dieser bemühten, aber in ihrem Passspiel viel zu unsicheren Elf nur Bernd Schneider und Ze Roberto: Sie waren noch ein wenig schlechter als ihre schlechten Kollegen.

Manager Reiner Calmund verdächtigte die Spieler, von der Hausapotheke genascht zu haben, „die haben Schlafmittel genommen!“ Man musste nicht auch noch verbal auf die Mannschaft einschlagen. Jeder konnte sehen, wie sehr sie selbst litt. Vieira und Dennis Berkamp erhöhten in der zweiten Hälfte auf 4:0, ehe Sebescen mit einem zischenden Volleyschuss zum 4:1 die Ausstellung „wunderbare Tore“, die an diesem Abend in Highbury lief, abrundete und Arsenal-Trainer Arsène Wenger mit einem großen Problem zurückließ. Er wusste keine Antwort darauf – auf die Frage, welches das schönste Tor war. Vermutlich das zweite, eine Kombination Vieira-Bergkamp-Wiltord-Henry quer über den ganzen Platz. Oder doch das vierte, ein Liebhaberstück von Bergkamp, der sich zweimal um die eigene Achse drehte und den Ball in hohem Bogen ins Tor lupfte. So langsam flog der Ball, als sollten die Zuschauer den Moment besonders auskosten dürfen. Vermutlich wird die Champions League diese Saison keine ästhetischere Darbietung mehr erleben, und vermutlich wird am Ende doch wieder ein anderes Team als Arsenal gewinnen. Sie haben solche Abende jedes Jahr zwei, drei Mal.

Es war beeindruckend, wie Arsenal gegen Leverkusen zur Schönspielerei, für die es gerühmt wird, Zweikampfhärte und Wachsamkeit mischte. Doch spielte ihnen Bayer mit seiner offensiven Spielausrichtung in die Hand. Es warten in der Champions League noch andere Gegner auf Arsenal, solche wie AS Rom, vorsichtiger, zynischer im Wesen – und viel ballsicherer als Leverkusen an dem Abend, an dem sie alles verkehrt machten. Noch nicht einmal die schwarze Mülltüte hat Zoltan Sebescen eingefangen.