piwik no script img

stefan kuzmany über AlltagIm Reich von Frau Haarbusch

Sie gehört zu meiner neuen Wohnung. Seit vielen Mietergenerationen macht sie dort sauber – unaufhaltsam

Hier wendet sich der Gast mit Grausen: / „So kann ich hier nicht ferner hausen, / Mein Freund kannst du nicht weiter sein. / Die Götter wollen dein Verderben; / Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben.“ / Und sprach’s und schiffte schnell sich ein.Friedrich Schiller,„Der Ring des Polykrates“So konnte es auf gar keinen Fall weitergehen. Der Dreck übernahm meine Wohnung. Ich war nicht länger Hauptmieter. Zwar durfte ich weiter die Miete bezahlen. Aber das Sagen hatte das schmutzige Geschirr. Die Zeitungsstapel bestimmten. Seltsame Insekten verteidigten die Gegend um den Mülleimer, flogen in bedrohlicher Geschwaderformation Angriffe gegen jeden Eindringling, meine Person eingeschlossen. Scharfe Gerüche drangen durch die Ritzen der Badezimmertür.

Freunde schlugen jede Einladung aus, regten ausschließlich Besuche bei sich daheim an. Kollegen füllten ganze Zeitungsseiten mit „witzigen“ Kolumnen über den Zustand meiner Wohnung, gingen damit auf erfolgreiche Lesereisen. Übernachtungsgäste verabschiedeten sich nach wenigen Minuten, mieteten sich kurzfristig in überteuerten Hotels ein. Kamen nicht wieder. Saubere Kleidung gab es nur, wenn ich sie mir neu kaufte. Hemden sehnten sich nach Bügeleisen; ihre Sehnsucht blieb unerfüllt. Mit zerknitterten Gesichtern sahen sie mich an. Wir waren uns einig: Es musste etwas geschehen.

Ich verließ die Wohnung, schloss die Türe gut ab, übergoss den Schlüsselbund mit Benzin und zündete ihn an. Am nächsten Tag zog ich in meine neue Wohnung, vermittelt über einen guten Freund, der noch an das Gute im Menschen glaubte. Beziehungsweise an das Saubere. So lernte ich Frau Haarbusch kennen.

Frau Haarbusch war Putzfrau. Oder Raumpflegerin. Oder Haushaltshilfe. Unabhängig von ihrer Berufsbezeichnung gehörte sie zur neuen Wohnung, hatte dort schon seit vielen Mietergenerationen sauber gemacht und war gewillt, diese Tätigkeit fortzusetzen, wenn ich ihr nur regelmäßig einen gewissen Betrag auf dem Küchentisch hinterließ. Einen Wohnungsschlüssel hatte sie bereits. Oder sie war eingebrochen. Jedenfalls kniete sie plötzlich neben meinem Bett.

Der Umzug war anstrengend gewesen, also hatten die schleppenden Freunde und ich uns am Abend einige Bierchen gegönnt und waren trunken und spät in die Betten gefallen. Am nächsten Morgen, Punkt acht Uhr, war Frau Haarbusch da. Praktische Jeanshosen trug sie, dazu ein praktisches Sweatshirt, an den Füßen ungewöhnlich unpraktische Cowboystiefel. Dafür hatte sie einen sehr praktischen Blick aufgesetzt. Um die vierzig Jahre alt mochte sie sein. Auf unangenehme Weise erinnerte sie mich an Angelika Beer, die grüne Militärexpertin. Ich brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, wo ich war. Ich war im Reich von Frau Haarbusch.

„Ihr Vormieter schuldet mir noch sechzig Euro. Haben Sie die zufällig da?“, fragte Frau Haarbusch ohne Umschweife mit unverkennbar berlinerischem Akzent. Ich verneinte. Und bedauerte, dass ich mich nicht erheben könne, um sie förmlich zu begrüßen, denn ich hatte dafür eindeutig zu wenig Kleidung am Leib. „Aber das macht doch nichts“, sagte Frau Haarbusch und lachte. Was genau machte nichts? Mich schauderte, und ich verkroch mich noch etwas tiefer unter der Bettdecke.

„Ich fange einfach schon mal an. Bleiben Sie ruhig noch ein wenig liegen“, sagte Frau Haarbusch, erhob sich aus der Hocke und schritt, wie ich ängstlich aus den Augenwinkeln beobachtete, zielstrebig auf die Stereoanlage zu. In der Hand hatte sie, wie ich erst jetzt bemerkte, eine CD-Hülle, die öffnete sie jetzt und legte sie in den CD-Spieler ein. Play. Countrymusik. Ich stöhnte. Warum nur? Warum mir? Da fiel ich in einen unruhigen Schlaf.

Im Traum erschien mir Angelika Beer auf einem Panzer. Ganz stolz saß sie da im Ausguck und fuhr durch meine Wohnung, vor und zurück, vor und zurück. „Was machen Sie da, Frau Beer?“, rief ich ihr zu, aber sie antwortete nicht. Noch mal sprach ich sie an, und diesmal schien sie mich zu hören. Sie setzte ein wichtiges Gesicht auf und sprach davon, dass sie mir das leider nicht sagen könne, weil ich das erstens niemals verstehen würde und zweitens ja wohl kaum ihre Geheimhaltungsstufe habe, die habe nämlich nur sie. Es war schrecklich. Ich erwachte.

Frau Haarbusch war gerade direkt neben meinem Bett mit dem Staubsauger beschäftigt und trällerte einen Countrysong. Sie blickte missbilligend auf mich herab: „Passt Ihnen etwas nicht? Ich mache hier nur meine Arbeit. Sie wollten das doch so.“

Sie hatte natürlich Recht. Und trotzdem war mir in diesem Moment klar, dass ich mich niemals an sie gewöhnen würde. Fast wehmütig dachte ich an die lieben Insekten, mit denen ich so harmonisch zusammengelebt hatte. Ich warf einen Blick hinüber zu meinen Hemden. Hämisch grinsten sie zurück.

Fragen zu Alltag?kolume@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen