EU-BEITRITTSKANDIDATEN BEIM BRÜSSELER KONVENT BENACHTEILIGT
: Guter Wille? Fehlanzeige

In Brüssel war es gestern ein bisschen wie im Märchen: Prinz Valérie Giscard d’Estaing eröffnete den Ball, und 13 Aschenputtel, die eigentlich nichts in all dem Glanz verloren haben, feierten mit. Natürlich wird der aufmerksame Zeitungsleser einwenden, dass – ganz anders als im Märchen – den Vertretern der 13 Kandidatenländer im Konvent beinah Gleichberechtigung eingeräumt worden ist. Nur wenn die 15 Altmitglieder einig sind, sollen die neuen nicht mit einer abweichenden Meinung den Konsens gefährden können. Da aber Abstimmungen nach Möglichkeit vermieden werden sollen, wird dieser Passus der Laekener Erklärung beim Konvent kaum eine Bedeutung erlangen.

Es kann also keine Rede davon sein, dass die Delegierten aus Polen, Ungarn oder der Türkei am Herdfeuer sitzen und Erbsen pulen? Der Schein trügt. Noch bevor die Arbeit beginnt, hat man den Neuen zwei entscheidende Möglichkeiten genommen, gleichberechtigt daran teilzuhaben: ihre eigene Sprache und einen eigenen Vertreter im mächtigen Konventspräsidium. Wer schon einmal an einer simultan übersetzten Konferenz teilgenommen hat, weiß, dass Wortgewalt in der eigenen Muttersprache englischem Gestammel weit überlegen ist.

Die Laekener Erklärung stellt lapidar fest, dass der Konvent in den elf Arbeitssprachen der EU zu tagen habe. Ein Zeichen guten Willens wäre es, wenn die Mitglieder in ihre Geschäftsordnung schrieben, dass die Kandidaten in ihrer Muttersprache debattieren können, mit Übersetzung ins Englische. An diesem guten Willen scheint es aber zu fehlen. Denn die nationalen Parlamentsdelegierten nahmen widerspruchslos hin, dass zu ihrem ersten Treffen die Parlamentarier der Kandidatenländer nicht eingeladen waren.

Die Teilnehmer aus der alten EU blieben unter sich und wählten eine britische Abgeordnete und einen irischen Kollegen aus ihren Reihen als Vertreter ins Präsidium. Die Neuen reagierten zunächst eher verwirrt als empört. Sie bewegen sich zum ersten Mal auf dem rutschigen Brüsseler Parkett und überlegen jeden ihrer Schritte sorgfältig.

Der polnische Parlamentspräsident hat inzwischen einen Brief an Prinz Valérie Giscard d’Estaing geschrieben. Dass er sich über die Diskriminierungen beschwert hat, wollte bei der polnischen Botschaft in Brüssel gestern niemand bestätigen. Vermutlich hat er sich in diplomatischer Zurückhaltung geübt und ungefähr Folgendes angemerkt: Ein Aschenputtel, das zeige doch schon die Recherche der Brüder Grimm, bedeute am Ende eine Freude für jeden Prinzen und eine Bereicherung für jeden Ball. DANIELA WEINGÄRTNER