Da geht doch noch was? Oder nicht?

■ Imaginäre Landschaften und andere Halbsichtbarkeiten: Die Zusammenschau von Cage, Graves und Tobey in der Kunsthalle

Machen wir uns nichts vor: John Cage gehört – mit seinem Bruder im Geiste Marcel Duchamp und einigen anderen – sicher zu den verschrobensten Künstlerpersönlichkeiten, die das vergangene Jahrhundert hervorgebracht hat. Und er gehört auch zu den bekanntesten. Was läge da näher, als ihm zwei zur Seite (aus) zu stellen, mit deren Werken Cages eigene Arbeiten im Verhältnis stehen. Irgendwie.

Der Titel ist gut gewählt. „Klänge des inneren Auges“. Das sagt alles – und nichts. Aha, denkt man: Musik und Bild, Schrift und Klang. Und intermedial wirkt das auch noch. Doch so einfach ist das nicht. Wie gesagt: Der Titel ist gut gewählt. Denn erst einmal wirft diese Wortkombination Fragen auf. Kann man Klänge sehen? Und: Wenn schon Auge, was ist dann das innere für eins? Schließlich: Das Auge, also Einzahl, für drei Künstler?

Mark Tobey, Jahrgang 1890, Morris Graves, Jahrgang 1910, und der nur zwei Jahre später geborene Cage machen sich nicht pflichtschuldig daran, Korrespondenzen offenzulegen. Texte wie „25 Mesostics re and not re Mark Tobey“ oder „Series re Morris Graves“ sagen – cagetypisch zwischen Gedicht und Vokalpartitur angesiedelt – nie: das hab ich soundso komponiert, weil ...“ Das wäre zu einfach. Und auch die Ausstellungsmacher hängen Gemälde, Zeichnungen und Partituren nie als Gleichung in der Art „a (Cage) plus b (Tobey) ergibt c (Graves)“. Oder umgekehrt. Kurz: Man macht es den Betrachtenden nicht eben leicht.

Da geht aber trotzdem was. Denn ganz zufällig ist diese Trias auch nicht zusammengewürfelt. Nach dem ostasiatischen I-Ging etwa, das Cage eine Zeit lang so viel benutzte. Was die Werke der drei verbindet, geht weiter, als es die flüchtige Betrachtung einer triptychonartig behängten Fläche nahelegen mag, auf der Cages berühmtes Silence Piece „4 33 “ von zwei Arbeiten Tobeys umrahmt wird. „Hollyhock links wird von einem schmalen, weißen Streifen dominiert, der dem stummen Zeitstrahl in der Partitur ähnelt, während die dunkle, eiförmige (und bei genauerem Hinschauen fein strukturierte) Fläche in „Void II“ den absichtsvoll nicht konzertant bespielten, sondern vielmehr selbst klingenden Raum der Aufführung von „4 33“ anzudeuten scheint. So einfach ist es nicht, aber ein Anfang.

„Klänge des Inneren Auges“ gehört zu jenen Ausstellungen, bei denen man schnell merkt: Das muss man sich mehrfach ansehen. Zu groß ist die Zahl der gezeigten Arbeiten, zu sehr variieren die Entstehungszeiträume, zu komplex sind schließlich auch die wechselseitigen Bezüge, als dass man es auf Anhieb begriffe. Außerdem wird man nicht drumrum kommen – dies ein Klassiker der populären wie professionellen Debatten um Zugänge zu zeitgenössischer Kunst –, sich mit dem zu beschäftigen, was man gemeinhin Kontexte nennt: ästhetische, philosphische und nicht zuletzt politische.

Warum etwa wählt Cage für seine Raum/Klang-Installation „Essay“, die im Obergeschoss zu sehen ist, ausgerechnet den Text „Über die Pflicht zum zivilen Ungehorsam gegenüber dem Staat“, die der amerikanische Denker Henry Thoreau 1849 in seinen ästhetischen (!) Schriften veröffentlichte? Und welche Rolle spielt der Begriff des „Inneren Auges“, eine Mixtur aus christlich-gnostischem Denken und buddhistischer Tradition, ausgerechnet im Werk dreier amerikanischer Künstler?

Alle drei befassten sich mit abseitigem Denken, mitunter ostasiatischer Provenienz. Für alle drei mag in ihrem deutlichen Bezug auf die Natur, auf Tiere, Jahreszeiten, Elemente, die aber nie abgebildet, sondern ästhetisch transformiert daherkommen sollen, das gelten, was Büchner einst seinem Woyzeck in den Mund legte, nämlich die Frage: „Wer das lesen könnt!“ Folglich spielen Strukturen eine große Rolle. Linien und Kreise, Schraffuren und Kratzer. Nur geht es weniger um das Ausloten der unterschiedlichen Möglichkeiten, sich künstlerisch den Oberflächen verschiedener Matrialien zu nähern, als um Meditation und Reduktion.

Die titelgebende klangliche Ebene kommt einerseits dort ins Spiel, wo das Gedankenspiel beginnt, ob man beispielsweise Tobeys „Space tablet“ nicht auch – nach Cages kompositorischer Methode oder besser: seiner Art, Musik zu denken – nicht auch „aufführen“ könnte ... Also: Vorschlag an Sie: Sehen Sie sich das mal an.

Tim Schomacker

Die Ausstellung „Klänge des inneren Auges“ ist noch bis zum 14. April in der Kunsthalle Bremen zu sehen.