Die Entdeckung der Langsamkeit

Performance als Überlebensstrategie und die Abbildung innerer Landschaften: Die beiden Choreografinnen Heini Nukari und Anna Jankowska von der finnisch-polnischen Freundschaftsgruppe „Trava“ und ihre Tanzmagie. Ein Porträt

„Es geht umÜberraschungen.Kein Stück soll demanderen gleichen“

Die Frau hat einen besonderen Geschmack: Sie sitzt auf ihren Unterschenkeln, in einem dunklen, leeren Bühnenraum, die Arme sind unter der nackten Brust verschränkt, die Augen durch eine schwarze Riesensonnenbrille verdeckt. Zum kahl rasierten Schädel trägt sie ein rotes Höschen, sonst nichts. Zögerlich erfasst der Lichtspot ihren entblößten, starr wie eine Buddhaskulptur thronenden Körper. Der nimmt sich Zeit, viel Zeit, um sich aus der Starre zu lösen. An den Beinen prangen Gummistiefel. In schwarz, passend zum Gummiboden.

Heini Nukari, die in Berlin lebende finnische Performerin, erfreut ihr Publikum oft mit unerwarteter Optik. Sei es in ihrem Tanzsolo „Station Kautschuk“, mit dem sie im Februar an dem neu gegründeten Festival „Tanzplattform Leipzig“ teilnahm, oder in den Stücken, die sie zusammen mit ihrer Partnerin Anna Jankowska seit vier Jahren in der „Theatregroup Trava“ entwickelt. Mit „Hahmomania“ überraschten die beiden Choreografinnen bei den Tanztagen im Herbst 2000 im Pfefferberg, mit „No time for wasa“ stellten sie sich bei „Tanz im August“ 2001 vor.

In einigen Momenten erinnern Trava-Stücke an die Shows der Nackttänzerinnen der Zwanzigerjahre, in ihrer grotesk-abstrakten Art, den eigenen Körper zu inszenieren, und dabei Rollen- und Geschmacksklischees – was ist männlich, was weiblich, was ist schön, was hässlich – zu attackieren. Das ist geradlinig nach vorn gearbeitet. Doch stärker als jede lesbare Absicht ist der Hang der beiden Akteurinnen zum Spiel, zum Augenblicklichen, zur Performance. „Es geht um Überraschungen“, sagt Nukari, „mit denen wir uns herausfordern und das Publikum. Kein Stück soll dem anderen gleichen.“ Nun, das wollen viele Künstler. Weder die 1972 in Helsinki geborene Nukari, die die Amsterdamer „School for new dance development“ besuchte, noch die ein Jahr ältere Jankowska, die Schauspiel in Warschau studierte, vertrauen dem Tanz als tradiertem Regelsystem. Beide haben niemals Ballettunterricht genommen, was sie nicht bereuen. „Mit Ballettausbildung würde ich sicher mein Bein höher strecken können“, sagt Anna Jankowska lakonisch, „aber das ist es ja nicht, worum es geht.“ Worum geht es dann? „Oh, weißt du“, sprudelt es aus Heini heraus, „wir müssen das wirklich tun, von innen heraus.“

Performance als Überlebensstrategie. Heini spricht von „inneren Landschaften“, die abgebildet werden wollten, von Bildern und Fantasien, die zum Ausdruck drängten. Trava existiert seit 1998. Getroffen haben sich die beiden glatzköpfigen Frauen in einem kleinen Theater, der „Kuhle“ in Berlin-Mitte. „Ich trat dort mit anderen Leuten zusammen auf“, erinnert sich Anna, „und entdeckte später einen Flyer mit einem Mädchen drauf, das völlig silbern war. Ich war sofort begeistert und wollte sie treffen. Aber niemand kannte sie.“ Anna vertraute den wohlmeinenden Winken des Schicksals und fuhr erst einmal zurück nach Warschau, zu ihrem Mann und ihrer Off-Theatergruppe. Vier oder fünf Wochen später war die wieder in Berlin. „Ich ging mit Freunden abends in eine Bar, nur mit der Absicht etwas zu trinken. Und dann war das silberne Mädchen da und performte, und wir wussten beide, dass uns die Begegnung bestimmt war.“

Nukari und Jankowska sagen, dass sie sehr gute Freundinnen sind. In Trava haben sie sich gefunden, hier entwickeln sie eine Sprache, die deutlich auf Entschleunigung der Bewegung setzt: In bestechender Langsamkeit lassen sie ihre Körper in die Bühnenstücke hineingleiten, mit kraftvoller Präzision und dem Bewusstsein für den sie umgebenden Raum, der zu vibrieren scheint. Plötzlich wird hysterisch gezappelt, geschrien, roboterhaft gekrampft und geisterhaft geschwebt. Tanz mit Trava – eine feine Sache. Magie.

JANA SITTNICK

„Dance Roads“-Festival, heute und morgen, 20 Uhr, „No time for wasa“ von Trava, am Sonntag, 20 Uhr, Sophiensæle, Mitte