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Britta Mischers Mitschnitte aus dem Leben junger Leute
: Die große Weltscheiße

„Diese Jugend von heute!“, hört man in der Berliner U-Bahn und anderswo von Menschen älterer Generationen immer wieder. Doch vergessen die so Stöhnenden die eigene Adoleszenz und die Klagen der damals Alten über ihr Verhalten und ihren Jugendjargon. Vor allem mosern sie über ein Thema, von dem sie absolut keine Ahnung haben. Die Jugend von heute. Dabei könnten sie sich von der ein Bild machen.

Ganz einfach, indem sie das Buch „Die Jüngeren – Mitschnitte aus dem Leben der 13- bis 30-Jährigen“ von Britta Mischer zur Hand nehmen, das Lese- und Bilderbuch zugleich ist. Der Inhalt spiegelt sich im passenden Layout wider. Mal bietet es eine Art Höhlenoptik für Hans-Jörg, der im Bauwagen lebt und „an Nischen glaubt“. Mal quellen die Seiten vor Blumen über, weil Andrea so gerne in Woodstock dabei gewesen wäre. Doch da hat sie mit ihren 16 Jahren eben Pech. Dafür will sie Konzertveranstalterin werden und in ihrer Heimatstadt Basel ein „fettes Woodstockfestival“ organisieren.

Das 16-jährige Flower-Power-Girl hat Britta Mischer auf der Straße getroffen, andere junge Leute interviewte sie in besetzten Häusern, in Kaufhausabteilungen beim Computerspielen, auf Death-Metal-Konzerten, in Schulen oder vor Konzerthallen, in denen Boygroups trällerten.

Die über hundet Plaudereien hat sie aufgenommen, nun sind einige davon nachzulesen. Einfach so. Glücksfall und Stärke dieses Bandes ist der Mut zum Verzicht: Er kommt ohne Kommentare und soziologische Einordnungen aus. Es gibt keine vorgeschriebene Lese- oder Interpretationsrichtung, nicht mal Inhaltsverzeichnis und Seitenzahlen. Man sieht und liest dafür viel Ungefiltertes über linke Skins, Mods, Gruftis, Computerfreaks, Punks, Popper, BMX- und Reggae-Fans, Taker, DJs aller Couleur und Stinos. Weil die 30-jährige Autorin als freie Grafikerin in Hamburg und Berlin lebt, bilden Interviews aus beiden Regionen einen Schwerpunkt. Karmen aus Prag saß gerade im „Fischladen“ beim Bier. Die 16-Jährige lebt in einem besetzten Haus in der Rigaer Straße. Sie denkt, dass man hier, anders als in ihrer Heimat, „keine Probleme und Geld hat, jeder hat ein Haus und ein Auto“. Sie selbst kauft nie etwas zu essen oder anzuziehen, „alles kommt aus dem Container“.

Steffi, die auf Ska steht, lebt in Treuenbrietzen, 50 Kilometer von Potsdam entfernt. Die 18-Jährige hat ganz andere Sorgen. Ihre Eltern schenkten ihr ein Auto, „und jetzt kann ich nicht auch noch erwarten, dass sie mir eine Wohnung finanzieren“. Wenn sie ihre Oma in einem kleinen Kaff besucht, gilt sie als „krasse Außenseiterin, das Getratsche ist groß, weil ich manchmal grüne Haare habe und zerrissene Jeans trage“.

Raphael legte im Maria am Ostbahnhof Platten auf. Der Reggae-DJ ist ein Fachmann für Dub Plates und studiert auf Grundschullehrer. Er hat Angst vor dem „Wahnsinn“, nimmt deshalb auch keine Drogen mehr und will „einen Schritt in seiner Entwicklung weiterkommen“, weiß aber nicht, wie. Auf die Frage, ob er subkulturell sei, antwortet er stellvertretend für viele junge Leute: „Ist doch eigentlich jeder. Jeder lebt in seinem eigenen Film, in seiner eigenen Welt.“

Deshalb gibt es so viele Unterschiede und Stile. Und ein paar die heutige junge Generation vereinende Momente. Wie Kris, Uwe und Martin, die auf der Berliner Fuck Parade befragt wurden, machen sich junge Leute von heute „Gedanken über die Welt und ihre viele Scheiße“. Glauben meist an nichts, außer an sich selbst. Lesen kaum noch Bücher. Und haben wie ein 21-jähriger Rock-’n’-Roller vor allem eins nicht vor: „Erwachsen werden will ich nie, davor habe ich Angst.“ ANDREAS HERGETH

Britta Mischer: „Die Jüngeren – Mitschnitte aus dem Leben der 13- bis 30-Jährigen“. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag Berlin, 144 Seiten, 25,90 €