Unmerkliche Präsenz

Flip Sellins Interiordesign konzentriert sich auf Möbel und Leuchten. Die Qualität seiner Arbeitsieht er eher im ungewohnten Einsatz von Ideen und Materialien als in Nachhaltigkeit

von MICHAEL KASISKE

Offensichtlich scheint sich die visuelle Präsenz von Ausstattungsobjekten – gleichgültig, ob in privaten oder öffentlichen Kontexten – zu scheiden in den Raum dominierende Solitäre oder langweilige Hintergrundmöbel. Das Buffet der Großmutter war zum Beispiel ein Möbel, das immer erdrückend wirkte. Flip Sellin gelingt mit seinen Entwürfen ein Weg dazwischen: Sein Mobiliar ist durchaus raumgreifend, bleibt gleichzeitig jedoch auf elegante Weise dezent.

Bei der Polster- und Tischgruppe „Null_Serie“ steht schon das Material für unmerklich den Raum einnehmende Objekte. Die filigranen Kufen und Halterungen aus Metall treten zurück hinter die ausgewogene Komposition aus mit weißen und orangefarbenen Stoffen bezogenen Polstern und kräftig gemaserten Tischplatten.

Auf den ersten Blick erinnert die „Null_Serie“ an die Siebzigerjahre, als mit Sitzlandschaften die Matratzenlager aus dem vorhergehenden Jahrzehnt kultiviert wurden. Tatsächlich aber sind die Formen von zeitloser Reduktion. Diese unprätentiöse Gestaltung der auf einem Quadrat basierenden Kombination lässt an die Tatamis denken, jene Schilfmatten, die in den traditionellen japanischen Teehäusern die Einfachheit des Zen-Buddhismus verkörpern.

Die Liegen schweben nur knapp über dem Fußboden und sind mit federnden Rückenlehnen versehen; so laden sie außer zum Schlafen wie ein Chaiselongue zum Fläzen mit aufgelegten Beinen, oder – bei seitlich angebrachter Rückenlehne – zum lässigen Sitzen ein. Dazu gibt es drei Tischtypen, einen lang gezogenen und einen quadratischen in der Höhe der Liegeflächen sowie einen, der darüber gestellt wird und als seitliche Ablage für die Sitzenden dient.

Von Beginn an konzentrierte sich der heute 31-jährige Sellin auf Interiordesign mit den Schwerpunkten Möbel und Leuchten. Sein Designstudium begann er in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre in Kingston. Auf die britische Insel hatte es ihn verschlagen, weil dort Entwurf und Gestaltung weit weniger akademisch und trocken als an deutschen Hochschulen gelehrt wurden. Im Vordergrund standen die individuellen künstlerischen Interessen und Fähigkeiten. Zudem frönte man in England schon beizeiten der Popkultur. 1996 kehrte er nach Berlin zurück. Nach einem kurzen Intermezzo an der Hochschule der Künste begann er, als freier Designer zu arbeiten.

Vorher, 1992, hatte er für Freunde die Ausstattung der „Jansen-Bar“ in Schöneberg entwickelt. Dem geringen Budget kam seine damalige Vorliebe für trashige Materialien entgegen. „Die Räume sind in einem tintigen Farbton bemalt und halbhoch mit mediterranen, floral verspielten Kacheln beklebt; der dazu überhaupt nicht passende Tresen [ist] aus vier Zentimeter dicken Granitplatten zusammengefügt“, schrieb eine Barkritikerin, doch resümierte sie: „Die ‚Jansen-Bar‘ ist von angenehmer Normalität und ohne alles Gesamtkunstwerk-Geschwafel der Neuen-Mitte-Etablissements.“ Auch wenn Sellin sich längst vom Readymade verabschiedet hat, schätzt er bei gelegentlichen Besuchen nach wie vor die Atmosphäre. Wie auch offenbar der jetzige Besitzer, wie Sellin bemerkt, denn dieser setzt die gute Tradition fort, dass der Entwerfer Gast des Hauses ist.

„Die Arbeit mit Kunden ändert den Umgang mit verspielten Ideen und Materialien, deren Qualitäten eher im ungewohnten Einsatz als in Nachhaltigkeit liegen“, meint Sellin, „obwohl sich das einander nicht ausschließen muss.“ Der erste Entwurf nach dem Studium war ein längliches Sideboard mit runden Ecken namens „Lounge Box“. Es handelt sich um eine Holzstruktur, die ein homogenes Erscheinungsbild durch einen Überzug aus Kunstleder erhielt. Durch den Verzicht auf die Rückwand wirkte das Möbel nicht wie eine Raum subtrahierende Kiste, sondern angenehm leicht als beiläufige Ablage.

Die Leuchte „Soft Light“ war hingegen kein Übergangsprodukt mehr. Die Begriffe „weich“ und „Licht“ werden gegenständlich in einem anschmiegsamen Objekt, das am oder sogar im Bett liegt: Eine kleine Energiesparleuchte drückt sich ins angeheftete Kissen und strahlt, vom weißen Stoff reflektiert, für den Lesenden. Ursprünglich im Programm von „Garage Blau“, wird der kleine Liebling von Bettfreunden nun von „artificial“ produziert.

Die Beauftragung eines Innenarchitekten für private Räume ist leider unüblich geworden, bedauert Sellin und vermutet, dass potenzielle Kunden individuelle, zu sehr an dem jeweiligen Zeitgeschmack orientierte Entwürfe fürchten und daher zeitlose Stücke aus den vorhandenen Kollektionen vorziehen.

In der Arbeitsgemeinschaft mit Aynur Batmaz, die das Möbelgeschäft „Odama“ betreibt, wird Sellin allerdings nun auch verstärkt im Innenausbau von Privatwohnungen tätig. Dabei greift er mal auf bereits vorhandene Möbelstücke zurück, mal entwirft er passgenaue Einzelstücke. Daneben ist „Odama“ Showroom für seine Entwürfe.

Dort wird auch das jüngst vorgestellte „Link Modular Sofa System“ zu sehen sein, dessen Gestalt mit wenigen Handgriffen dem Anlass entsprechend verändert werden kann. Die Basis bildet ein niedriges Metallgestell, in das eine Platte mit einem Lochraster gelegt ist. Innerhalb dieses Rasters werden schmale Polsterelemente gesteckt, die, einfach addiert, ein langes Sofa oder, gegeneinander gesteckt, ein von der einen und von der anderen Seite zum Sitzen einladendes Polster oder, verdreht, eine Sitzlandschaft mit einer Liegefläche bilden. Diese Vielfalt in der Positionierung der Sitzenden würde manchem Warte- oder Loungebereich zugute kommen.

So bequem es sich in den Polstern sitzen lässt – sei es auf den „Passagen Interior Design“ in Köln, sei es unlängst beim „H.O.M.E.Depot 2002 Showroom“ in Berlin –, der Laufschritt bei gleichbleibendem Niveau wird anstrengend. Durch seine Fertigkeiten im Entwerfen eleganter Objekte lässt Sellin freilich noch einiges erwarten.

Showroom ODAMA, Steinstraße 37, Berlin-Mitte, www.odama.de