Lautlose Ermittlungen

Schenk und Ballauf sind wieder dran: Im WDR-Tatort „Schützlinge“ müssen sie – was sonst – einige Morde aufklären. Allerdings dieses Mal in der fremden Welt der Gehörlosen (So, 20.15 Uhr, ARD)

von CHRISTIAN BUSS

Freddy Schenk (Dietmar Bär) hat eine Menge Fehler; Gefühlskälte zählt gewiss nicht dazu. Während der Arbeit legt der massige Ermittler seinen Emotionen selten Zügel an. Manchmal ist er possierlich wie ein Tier im Streichelzoo, manchmal gibt er sich allerdings auch einfach nur seiner schlechten Laune hin. So wie in dieser Nacht, als er einen Jungen verhört, der einen Mord begangen haben soll. Weil der Verdächtige offensichtlich nicht reden will, lässt er ihm Handschellen anlegen. Der Junge dreht durch, springt aus dem Fenster in den Tod. Wie sich herausstellt, war er gehörlos – ohne Hände konnte er sich nicht verständlich machen.

Der Tatort „Schützlinge“ beginnt also mit der Schuld des Kommissars, ein gigantisches kathartisches Räderwerk wird in Gang gebracht: Schenk plagt das Gewissen; er versucht verschämt Gebärdensprache zu erlernen. Bald führen ihn seine Untersuchungen auch an eine Schule für Gehörlose. Ein paar Mädchen tauschen beim Anblick des traurigen Kolosses Handzeichen aus und kichern. Schenk hat – wie ihm die Lehrerin erzählt – einen Spitznamen bekommen: „Kommissar Bauch“. Da hellt sich seine finstere Miene zum ersten Mal wieder auf, und bald darf der wiedererweckte Polizist auch den wahren Mörder finden. „Tatort“-Produktionen aus Köln kommen stets mit emotionaler Wucht daher, denn die Verbrechen ziehen die Ermittler immer schwer in Mitleidenschaft. Das gilt nicht nur für den gefühligen Klotz Schenk – auch Kollege Ballauf (Klaus J. Behrendt) droht immer wieder an den Fällen zu zerbrechen. Am Ende gehen die beiden regelmäßig gestärkt aus den Geschichten hervor.

Vielleicht liegt in dieser Redlichkeit das Geheimnis ihres Erfolgs. Wenn die eher uncoole Wampe und der graumelierte Haudrauf ihrem Job nachgehen, sitzen jedenfalls im Schnitt über neun Millionen Zuschauer vor dem Fernseher. Damit sind sie Quotensieger. In den leicht entflammbaren Gemütsmenschen, die sich regelmäßig zoffen und ebenso regelmäßig wieder versöhnen, spiegeln sich die Ängste und Sehnsüchte des Publikums.

Nicht immer wird im WDR-Tatort diese erzählerische Macht korrekt eingesetzt. Die Ermittler verfügen zwar über die nötige Feinnervigkeit, um soziale Ungerechtigkeit und kriminelle Ungeheuerlichkeiten zu wittern – doch manchmal kippt die gesunde Erregung in einen gefährlichem Populismus. Dann fangen Schenk und Ballauf schrecklich an zu menscheln und agieren mit der analytischen Schärfe von Boulevard-Reportern. In „Bestien“ etwa, dem letzten Tatort aus Köln, ging es um die Vergewaltigung und Ermordung eines Mädchens. Kommissar Schenk, selber Vater einer Halbwüchsigen, ließ am Ende Beweisstücke verschwinden, um eine Mutter zu schützen, die den Peiniger ihres Kindes getötet hatte. So befeuerte die Tatort-Produktion die Stimmung, in der Rache als erbaulicher Akt gefeiert wird.

„Schützlinge“ ist da subtiler: Über den angeschlagenen Kommissar erhält der Zuschauer Zutritt in die Welt der Gehörlosen. Stellvertretend tappst der dünnhäutige Dicke durch ein System aus Zeichen und Ritualen, das sich ihm erst nach und nach erschließt. Dabei sind die Drehbuchautoren (Sönke Lars Neuwöhner und Sven Poser) klug genug, das pädagogische Anliegen und den kriminalistischen Plot ineinander zu verzahnen. Dieser Tatort ist also kein gut gemeintes Randgruppenrührstück, sondern ein einigermaßen spannendes Täterrätsel, dem man nur folgen kann, wenn man sich auf die Kommunikationsformen unter Gehörlosen einlässt.