Schily schimpft, Schröder schlichtet

Rot-Grün verabschiedet Zuwanderungsgesetz im Bundestag. Die Union stimmt dagegen. Der Innenminister hat keine Lust mehr auf Konsens und macht Wahlkampf. Nur der Kanzler gibt sich als Staatsmann und wirbt um Zustimmung des Bundesrats

von LUKAS WALLRAFF

Der Konter saß, das muss man dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach lassen. „Herr Minister Schily, Sie müssen hier gar nicht so herumbrüllen“, stichelte Bosbach, als er gleich nach Innenminister Otto Schily (SPD) ans Rednerpult ging. „Wir sind hier nicht in Ihrem Ministerium, wir sind im Deutschen Bundestag!“

Vor allem aber sind alle längst im Wahlkampf. Und deshalb hatte Schily gewaltig Dampf abgelassen – diesmal nicht vor seinen Mitarbeitern, wie nach den Pannen im NPD-Verbotsverfahren, sondern vor dem Parlament. „Die einst so stolze CDU/CSU-Fraktion bietet heute ein klägliches Bild“, sagte Schily in der abschließenden Debatte des Bundestags über das Zuwanderungsgesetz. Den Unions-Abgeordneten warf er vor, sie seien „nicht in der Lage, die Bretter von ihren Köpfen abzumontieren“.

Nach monatelangen, vergeblichen Konsensverhandlungen hatte der Innenminister keine Lust mehr, noch einmal um Zustimmung zu werben. Warum auch? Die Ablehnung der Unions-Fraktion stand schon vor der Abstimmung fest, nachdem die Union auch das letzte Angebot der Koalition im Innenausschuss zurückgewiesen hatte.

Nur die drei Ex-CDU-Minister Heiner Geißler, Christian Schwarz-Schilling und Rita Süssmuth stimmten kurz vor ihrem Abschied aus dem Bundestag mit der Regierung. Einträchtig saßen die Abweichler nebeneinander in der hintersten Reihe, wo sie mit demonstrativer Herzlichkeit vom grünen Außenminister Joschka Fischer begrüßt wurden. Der Rest der CDU/CSU hielt sich strikt an die Vorgaben ihres Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber. „Dieses rot-grüne Gesetz ist ein schlechtes Gesetz“, befand Stoiber gestern in der Süddeutschen Zeitung, „und es ist besser, wenn es nicht in Kraft tritt.“

Eher defensiv verteidigten die Koalitionspolitiker ihr eingedampftes Reformprojekt. Nicht ganz zu Unrecht hielt CSU-Poltergeist Michael Glos den Grünen vor, von weitreichenden Angeboten an die Union zu sprechen, gleichzeitig aber „nach innen“ zu verkünden, der Gesetzentwurf sei „in seiner Substanz nicht verändert“ worden. Diesen Widerspruch konnte auch Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller nicht auflösen. Überzeugend klang sie nur, als sie die Union davor warnte, „mit Stimmungsmache gegen die hier lebenden Migranten“ in den Wahlkampf zu ziehen.

Wie vehement die Union das tun kann, entscheidet sich erst am 22. März im Bundesrat – und hängt vor allem von einem Mann ab: Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Ihn zu umwerben, ist das letzte Ziel der Koalition im endlosen Poker um das Zuwanderungsgesetz.

Um die Atmosphäre vorher etwas zu entgiften, entschloss sich der Kanzler gestern zu einem Schlusswort, das wesentlich milder ausfiel als die Tiraden seines Innenministers. Die Debatte um die Zuwanderung sollte „in sachlicher Form“ weitergeführt werden, sagte Gerhard Schröder. Und der Bundesrat dürfe nicht als der Platz missbraucht werden, an dem „ein Kandidat gegen den Bundeskanzler steht“.