Internationale Kritik an Scharon

Israels Armee tötet beim Einmarsch in die Flüchtlingslager Nablus und Djenin mindestens 20 Menschen. UN-Generalsekretär Kofi Annan fordert sofortigen Rückzug, und selbst die US-Regierung ruft Israel zu „größtmöglicher Zurückhaltung“ auf

JERUSALEM taz ■ Bei der Invasion der israelischen Armee in die palästinensischen Flüchtlingslager Nablus und Djenin sind bislang mehr als 20 Menschen getötet worden. Gestern starb nach Krankenhausangaben ein siebenjähriger palästinensischer Junge bei Feuergefechten. Rund 200 Palästinenser wurden bislang verletzt.

Armeebeobachter rechnen damit, dass die Operation unter dem fantasievollen Namen „Farben einer Reise“ bis in die nächste Woche andauern wird. Panzer und Infantrietruppen sind parallel in Beith Jala, Bethlehem Ramallah und im Gaza-Streifen aktiv.

Die Aktion, auf die die Armee und Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliesar seit Wochen drängten, kommt insofern nicht überraschend, da bereits Anfang der Woche der als moderat geltende israelische Justizminister Meir Shitrit (Likud) die „schrittweise Rückeroberung palästinensischer Städte“ angekündigt hatte. Erst kurz zuvor hatte Israel im Verlauf eines Kooperationstreffens der Sicherheitschefs angekündigt, künftig von Luftangriffen und Exekutionen verdächtiger Terroristen abzusehen. Im Gegenzug versprach die Autonomiebehörde, schärfere Maßnahmen gegen den Terror vorzunehmen. Laut palästinensischen Berichten fanden bereits neue Luftangriffe statt, bei denen unter anderem ein Elektrizitätswerk getroffen worden sei.

Israel beharrt darauf, dass es sich bei den palästinensischen Todesopfern ausschließlich um „bewaffnete Terroristen“ handelt, und die „Zivilbevölkerung keinen Schaden“ genommen hat. Diese Mitteilung ist nicht allein angesichts der hohen Zahl von Verletzten verwunderlich, sondern auch angesichts des veränderten Vorgehens der Soldaten. Aus Angst vor palästinensischen Scharfschützen und versteckten Sprengstoffladungen vermeiden es die Soldaten, sich in den engen Straßen der Flüchtlingslager fortzubewegen. Stattdessen sprengen sie sich von Wohnung zu Wohnung den Weg frei.

Die Invasionen stoßen sowohl in der israelischen Bevölkerung als auch auf internationaler Ebene auf scharfe Kritik. Besonders deutlich äußerte sich UN-Generalsekretär Annan, der Israel zum „sofortigen Rückzug“ aus den Flüchtlingslagern aufforderte. Die USA beschränkten sich auf einen Appell zu „größtmöglicher Zurückhaltung“, während sich Bundesaußenminister Fischer „höchst besorgt“ über die neuen Entwicklungen äußerte und beide Seiten zur sofortigen Einstellung der Gewalt aufrief.

Die israelische Regierung hatte mit Blick auf die palästinensische Zivilbevölkerung und das hohe Risiko für die eigenen Soldaten bislang vor einem Einmarsch in die strategisch problematischen Flüchtlingslager abgesehen. In Balata leben rund 20.000, in dem Lager von Djenin rund 13.000 Menschen auf engstem Raum. Weil sich hier „der Kopf der Schlange“ befinde, so begründete ein Armeesprecher, habe man sich nun doch für dieses Vorgehen entschieden. Beweis dafür seien auch die unterdessen ausgehobenen Waffen- und Sprengstofflager sowie Produktionsstätten für Mörsergranaten und die berüchtigte „Kassam 2“-Rakete. SUSANNE KNAUL