Im Niemandsland angekommen

■ Hamburger SV ist nach dem 3:1-Heimsieg gegen den 1. FC Nürnberg alle Abstiegssorgen los und darf sich zweitbestes Team der Rückrunde nennen. Was mit der Leistung aber nichts zu tun hatte

Die Geheimwissenschaft der Statistik gebiert so manche Krücke, die selbst aus einem Stelldichein grauer Mäuse einen schillernden In-Treff machen soll. Nach dieser Lesart trafen am Samstag in der AOL-Arena vor 35.000 Besuchern ,it dem HSV und dem Club aus Nürnberg der 2. und 3. der Rückrundentabelle zu einem vermeintlichen Spitzenspiel aufeinander. Erstaunlich ist danach nur eins: Dass der HSV diesen Rang halten konnte. Denn sowohl der 3:1-Endstand als auch die 2:0-Führung in der ersten Spielhälfte suggerieren eine spielerische Dominanz, die die Rothosen zu keiner Zeit ausüben konnten.

Symptomatisch wie die HSV-Tore fielen: viel Glück und Nürnberger Blackouts halfen mit. 1:0: Club-Keeper Kampa, der „auf eine Hereingabe spekuliert“ hatte, patscht sich eine Flanke selbst ins Netz, nachdem Kollege Kos den Ball am Strafraumeck leichtfertig Roy Präger überließ. 2:0: Obwohl er erst vor drei Wochen gegen Köln ähnlich traf, scheint es sich noch nicht bis ins Frankenland rumgesprochen zu haben, dass Milan Fukal bei Ecken ein gefährlicher Kopfballspieler ist. 3:1: Kos und Tavcar praktizieren am eigenen 16er die bewährte Absprache – „nimm du ihn nicht, ich will ihn auch nicht“ – Nutznießer Antar, plötzlich frei vor Kampa, „würgt den Ball irgendwie rein“, wie HSV-Torwart Pieckenhagen zutreffend beobachtet hat.

Eine Augenweide dagegen der Club-Anschlusstreffer, als Krzynowek über drei Kurzpassstationen halblinks im Strafraum freigespielt wird und mit sattem Spannstoß vollendet. Pieckenhagen lobte später zu Recht die „gute Raumaufteilung“ der Nürnberger, die den HSV-Spielaufbau im Keim erstickte. Weder Ersatz-Kapitän Albertz, der auch künftig eine überteuerte Problempersonalie bleiben wird, noch Cardoso konnten Druck nach vorn entfachen. Romeo stand mit Präger oft abseits, wirkte überhaupt isoliert ohne den verletzten Barbarez, dessen Spielkultur hinter den Spitzen schmerzlich vermisst wurde.

In der zweiten Hälfte führte der HSV fast nur noch seine Unfähigkeit vor, schnell zu kontern. Umständlich oder überhastet verendeten die Gegenstöße. Als Romeo dann doch noch allein vor Kampa auftauchte, schoss er ihn an – ermüdet wohl vom langen Sprint, nachdem er unmittelbar zuvor eine Ecke der Nürnberger am eigenen Strafraum (!) abgefangen hatte.

Das Schicksal der Clubberer entschied sich innerhalb von einer Minute: HSV-Spieler Benyamin köpft bedrängt gerade noch gegen das eigene Lattenkreuz – im Gegenzug macht Antar das 3:1. Zuvor war Nürnberg dem Ausgleich oft näher, doch Cacau vergab gleich zwei Großchancen innerhalb weniger Minuten – ein „Riesenglück, dass das 2:2 nicht gefallen ist“ (HSV-Trainer Jara).

„Wahrscheinlich hat er deswegen nur den Pfosten getroffen“, spielte Club-Coach Klaus Augenthaler später mit bitterer Ironie auf den Wirbel um sein Sturmtalent an, das von mehreren Clubs umworben wird. Als Spielerberater sollte man bei ihm derzeit lieber nicht vorstellig werden. Augenthaler: „Die kann ich nicht mehr sehen! Machen die Jungs verrückt und sehen dabei nur die Dollarzeichen in den Augen.“

Resultat des Spiels: Der HSV steht da, wo er derzeit hingehöt, nämlich im Niemandsland des halbwegs gesicherten Mittelfeldes. Für die Nürnberger aber hat trotz spielerischen Potenzials der akute Abstiegskampf noch mal von vorn begonnen. Und Augenthaler ahnt, dass am Ende selbst die Statistik-Krü-cken nicht mehr helfen werden, wenn sein Team weiter so „blauäugig und naiv“ (Augenthaler) agiert wie am Samstag. Jörg Feyer