Tasten, Riechen, Hören

■ Ausstellung „Dialog im Dunkeln“ bald mit eigenem Katalog

Blind wird gewöhnlich genannt, wer uneinsichtig, unverständig, unaufmerksam, unwissend und dergleichen mehr ist. Lauter negative Charakterisierungen, natürlich symbolisch gemeint. Aber das, was man unter „blind“ fassen kann, ist vielfältiger als das, worauf dieser gängige Sprachgebrauch hinweist.

Eine Gelegenheit dazu bietet eine Ausstellung unter dem Titel Dialog im Dunkeln, die schon seit einigen Monaten in Hamburgs Speicherstadt zu sehen ist. Das heißt, zu betrachten ist nur der großzügig gestaltete Vorraum, die Ausstellung selbst ist zu betasten, zu hören, zu riechen, zu fühlen, zu spüren. Sie findet im Dunkeln statt, man muss sich anmelden und wird von einem blinden Menschen hindurchgeführt. Zu dieser Ausstellung wird nun ein Katalog erscheinen.

Darin schildert zum Beispiel der vor einem Jahr verstorbene Geo-Reporter Hermann Sülberg einen Besuch in der Ausstellung: „Dir kann nichts passieren, erzählt der nicht behinderte Blinde vor mir, während ich mir den Fuß an einem Hindernis stoße, hinter dem deutlich hörbar der Bach vorbeirauscht ... Mir schwant zwar, dass dies kein richtiges Gewässer ist, suche aber vorsichtshalber doch den empfohlenen Steg. Mit dem Blindenstock, von Blinden Langstock genannt, ertaste ich mir rechter Hand den Aufgang, mit der fuchtelnden Linken erwische ich eine Stange, die sich zu meiner Erleichterung wie ein Geländer anfühlt.“

Sich in die totale Dunkelheit zu begeben und die vom Visuellen dominierte Welt zu verlassen, kann Angst auslösen. Verschiedene Texte des Katalogs nehmen diese Unsicherheit ernst. Der auch graphisch, unter anderem von Heinz Edelmann, prägnant gestaltete Katalog trägt dazu bei, die Erfahrungen, die in der Ausstellung gemacht werden können, zu vertiefen – erlaubt aber auch, sie derart vorauszuahnen, dass Vorurteile und Verlegenheit entfallen.

Es werden Wahrnehmungsbereiche wie das Tasten, Riechen, Hören, Schmecken thematisiert, die sonst vernachlässigt und in der Folge gering geschätzt werden. Von den Sinnen kommt man zum Sinn. Es geht nicht um die sentimentale Begutachtung einer Behinderung, der Blindheit oder gar blinder Menschen, sondern um eine mögliche Selbsterfahrung der Sehenden. Die Ausstellung und der Katalog sind Modell für die Umgestaltung von vertrauten Erfahrungen. Da die Dunkelheit in der Regel das Gefühl von Hilflosigkeit erzeugt, können die Orientierungssysteme blinder Menschen assistieren. Sie sind der Mittelpunkt des Konzepts vom Dialog im Dunkeln.

Christian Mürner

Dialog im Dunkeln. Eine Ausstellung zur Entdeckung des Unsichtbaren, herausgegeben von Andreas Heinecke und Uschi Hollerbach, Consens Ausstellungs GmbH Hamburg 2002, 104 S., 15 Euro (erscheint im April)

Ausstellung: Di–So 10–18 Uhr, Alter Wandrahm 4, Anmeldung unter 0700–44 33 20 00