Wo was trommelt in der Nacht

Der bittere Nachgeschmack der Vergeblichkeit: Das Arsenal zeigt eine Werkschau des japanischen Filmemachers Imai Tadashi. Trotz formaler Strenge zeigt sein Kino eine große Wärme für Figuren von der Peripherie der Gesellschaft

Im Verhältnis von künstlerischer und politischer Qualität soll sich die Wesenheit des Kunstwerks ausdrücken: Dieser gar nicht so alte Traum einer gesellschaftlich und persönlich relevanten Kunst beflügelte lange Zeit die Vorstellungskraft einer aufgeklärten, bürgerlichen Künstlerklientel. Eine nur folgerichtige Prämisse, die sich aus den Erfahrungen einer überwundenen höfischen Auftragskultur herleitete. Die Forderung nach einer emanzipativen Künstlerbewegung gründete sich auf der hart erkämpften Chance einer kompromisslos subjektiven Produktion neuer Ideale, in die sich auch romantische Freiheitsbegriffe und feuriges Revoluzzertum schummelten – putzige Flausen, die den Heißspornen alsbald wieder ausgetrieben wurden.

Dass die dialektischen Lebenssphären des Kulturellen und Politischen aber ganz unvermeidlich auch eine tiefe Kluft in das Selbstverständnis einer ganzen politischen Klasse reißen konnten, war die bittere Erkenntnis dieser neu gewonnenen Freiheit. Das gilt gerade für Länder, in denen sich feudale Denkstrukturen bis in die Ära des demokratischen Wandels fortgesetzt haben. In Japan zum Beispiel hat die Überlagerung dieser Sphären nach dem Zweiten Weltkrieg besonders harsche Reflexe erzeugt.

Der Regisseur Imai Tadashi, eine der tragischeren Figuren des japanischen Nachkriegskinos, gehört zu den Künstlern, die unter der moralischen Unentschlossenheit seines Volkes besonders zu leiden hatten. Eine Vielzahl von Missverständnissen und Anfeindungen hat seine Arbeiten begleitet – bis zu seiner kommerziell erfolgreichsten Phase in den frühen Sechzigern, als Imai längst als Institution des japanischen Kinos angesehen wurde, er aber immer noch um seine künstlerische Anerkennung kämpfen musste. Imais Version eines politischen Kinos unterlief so rigoros und leidenschaftslos die ästhetischen Maßgaben einer künstlerischen Autorenschaft, dass er im vom antikommunistischen Gedankengut der Siegermacht Amerika indoktrinierten Japan frühzeitig als linker Agitprop-Filmemacher und politischer Phrasendrescher ohne eigenen Stil abgestempelt war. Bereits an der Oberschule hatte sich Imai marxistischen Studiengruppen angeschlossen. Linke Kritiker warfen ihm dagegen vor, dass seine Arbeit für den militaristischen Propaganda-Apparat nach dem Krieg bruchlos in sein sozialkritisches Kino überging. Sich an solchen Widersprüchen in Imais Gesamtwerk aufzuhalten, verleitet allerdings allzu leicht dazu, die bewegende Kraft seiner Filme zu übersehen.

Die kleine Tadashi-Imai-Werkschau, die noch bis zum 14. März im Kino Arsenal läuft, liefert den Versuch eines unvoreingenommenen Einblicks in Imais Verständnis des Politischen – was umso einfacher ist, da seine Filme bis auf „Bushido Zankoku Monogatari“ („Bushido: Sie lieben und sie töten“, 1963) hier eh kaum bekannt sein dürften. Der politische Charakter von Imais Filmen offenbart sich aber trotz ihrer formalen Strenge und der oftmals spröden Rhetorik seiner Bilder nicht in starren ideologischen Pamphleten, sondern als emphatische Schilderung einer grundsätzlichen Praxis des Lebens, in der verschiedene Methoden der Selbstermächtigung und Befreiung, des Ungehorsams und der kritischen Reflexion des Individuums (sowie immer auch ihr Scheitern) zum Tragen kommen. Der Ton seiner Filme war daher auch in den seltensten Fällen didaktisch-analytisch, sondern vor allem sehr warm und verständig im Umgang mit den Menschen von der Peripherie der japanischen Gesellschaft.

Die Filmreihe im Arsenal verzichtet auf einige kleinere Meisterwerke Imais wie „Yoru No Tsuzumi“ („Trommeln in der Nacht“, 1958) oder „Echigo Tsutsuishi Oyashirazu“ („Das Dorf Oyashirazu in der Provinz Echigo“, 1964) zugunsten eines repräsentativen Querschnitts durch seine expliziter gesellschaftspolitischen Arbeiten. Hier wird Imai manchmal sehr pragmatisch: In den gezeigten „Bushido“ und dem Episodenfilm „Nigorie“ („Trübes Wasser“, 1953) entwickelt er seine profunde Kritik an der immer noch feudalhierarchisch geprägten Gegenwartsgesellschaft anhand seiner repetitiven Narration, die – zwingend wie ein Abschlussplädoyer – einen bitteren Nachgeschmack der Vergeblichkeit hinterlässt.

ANDREAS BUSCHE