Angstgegner zum Einschlafen

Hertha kann in Köln nicht gewinnen. Der letzte Sieg geht bis ins Jahr 1974 zurück, als Helmut Schmidt noch Bundeskanzler war, es Eis für zehn Pfennig gab und tolle Bonanza-Räder. Damit kam man zwar nicht vorwärts, aber egal. Beim 1:1 von Hertha BSC und dem FC Köln war es schließlich genauso

von ERIK EGGERS

Manch Berliner Fan wird diesen Ort verfluchen. Denn nie, seitdem das Müngersdorfer Stadion vor 27 Jahren eingeweiht wurde, hat der Sport-Club Hertha darin ein Punktspiel gewonnen. Den letzten Sieg in Köln, ein 4:3, vermerkt der unbestechliche Almanach des Kicker für das Jahr 1974. Helmut Schmidt wurde damals Bundeskanzler, das Fernsehen umfasste nur drei Programme, ein Eis kostete noch zehn Pfennig, Bonanza-Räder kamen gerade schwer in Mode, und wenn ein Millionentransfer im Fußball gemeldet wurde, dann fanden das noch die meisten ziemlich obszön. Kurzum: Eine Ewigkeit ist das her.

Und dennoch hatte, als die Blau-Weißen am Samstag in das Stadion einliefen, niemand wirklich an einem Auswärtssieg gezweifelt. Denn über Köln und seine erste Fußballmannschaft war in den letzten Monaten ein Klima der Torlosigkeit gekommen, und wie brutal sich dieses fußballerische Tiefdruckgebiet auswirkte, davon verschaffte sich jeder Augenzeuge schnell einen Eindruck: Der zunächst frostige Empfang der Fans schlug nämlich bald in Häme um, und irgendwann regierte kalter Zynismus.

Zweimal johlte das Publikum in der ersten Halbzeit. Einmal, als der Rekord von 964 torlosen Minuten eingestellt wurde, das zweite Mal, als der Tabellenletzte die 1.000 Minuten vollmachte. Wenn beim Seitenwechsel die Kölner Zuschauer einfach nach Hause gegangen wären, dann hätte das niemand gewundert. Da unten konnte nicht mehr der 1. FC Köln spielen. Dort unten stolperte der 1. FC Verunsicherung vor sich hin.

„So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte ein verlegen lächender Dennis Lapaczinski nach dem Spiel zu dieser seltsamen Atmosphäre. Ganz richtig stellte der Abwehrspieler, der das dritte Mal in Folge in der Anfangsformation auflief, fest: „Normal müssen wir das ausnutzen.“ Aber irgendwie habe man nach den letzten drei Siegen „nicht unser Spiel durchdrücken können“. Trotzdem, Vorwürfe würde ihnen der Trainer trotz des 1:1-Unentschiedens sicher nicht machen, höchstens den, „nicht mit letzter Konsequenz nachgesetzt zu haben“. Genau das war die Hauptkritik des neuen Berliner Übungsleiters. Falko Götz, der sein Team vorher zu drei Siegen geführt hatte, war „mit dem Ergebnis gar nicht zufrieden“, schließlich wollte man unbedingt auch in Köln gewinnen. Er sah sein Team über 75 Minuten hoch überlegen, nur habe man „sehr gesündigt bei den Standardsituationen und Kontern“. So dominant man gewesen sei, so nachlässig hätten seine Offensivkräfte die Chancen verwirkt. „Das letzte Maß an Präzision hat gefehlt“, meinte Götz, „der letzte Wille, unbedingt das zweite Tor zu erzielen.“

In der Tat. Zwar war der Beginn der Partie noch absolut nach Plan verlaufen. In der 12. Minute hatte Simunic die Lufthoheit der Herthaner ausgenutzt und eine Alves-Ecke weiter zu Beinlich geköpft, der nur noch einzunicken brauchte. Alle erwarteten danach, dass die Kölner Abwehr, wie es die letzten Spiele zu beobachten war, erneut völlig einbrechen würde. Aber obwohl Hertha das Geschehen dominierte, obwohl Alves, Marcelinho und Simunic beste Einschussmöglichkeiten vergaben, senkte sich allmählich ein Mantel der Lethargie über das Spiel. Vermutlich deshalb, weil die Spieler exakt das dachten, was auch jeder der Zuschauer dachte: Dass ein Tor der Kölner im Bereich des Unmöglichen lag. Ein zugegeben nahe liegender Gedanke, denn die Kölner agierten wirklich uninspiriert und durchsichtig. Es dauerte geschlagene 26 Minuten, bis Köln den ersten Ball Richtung Berliner Tor schlagen konnte. Die einzige Gefahr, die der Berliner Abwehr drohte, war einzuschlafen.

Und dann kam es so, wie es oft kommt in Fußballspielen. Plötzlich stand, weil ein Freistoßpfiff nicht erfolgte, der Kölner Stürmer Baranek vor dem Tor von Kiraly und verfehlte nur knapp. In der 75. Minute schließlich konnte Michael Hartmann eine Flanke von Balitsch nicht klären, sodass Timm das Leder mustergültig für Cichons Flachschuss aus 16 Metern auflegen konnte. Irgendwie passte Cichon als Torschütze zu dem skurrilen Spielverlauf, hatte er doch in seinen bislang 99 Bundesligaeinsätzen noch nie getroffen.

Nach dem – im Wortsinn – fabelhaften Ausgleich, konnte Hertha keinen Druck mehr nach vorne entwickeln, ganz im Gegenteil, nun rollte Angriff um Angriff auf das eigene Tor. Auch die verzweifelten Schreie des Trainers an der Seitenlinie vermochten daran nichts mehr zu ändern.

Es war, wie Götz konsterniert in der Pressekonferenz anmerkte, insgesamt „kein glücklicher Tag für uns“. Besonders bitter sei daran, „dieses Spiel mit zwei Schwerverletzten zu bezahlen“. Gemeint war der Oberkieferbruch Hartmanns nach einem Zusammenstoß mit Cichon und der Außenbandriss Rehmers, der auch ein Schienbeinbruch hätte sein können. Vor allem für das harte Einsteigen Springers direkt vor der Trainerbank besaß Götz wenig Verständnis: „Der springt dem doch voll in die Knochen.“ Warum es dafür nur Gelb gab, wird auf ewig das Geheimnis von Schiedsrichter Albrecht bleiben. Warum die Hertha in Köln nicht gewinnen kann, wird ebenfalls ein Mysterium bleiben.