„Berlin ist Teil eines anderen Europa“

Die neue Leiterin des Polnischen Instituts, Joanna Kiliszek, will weniger Folklore, sondern noch mehr Begegnung

taz: Frau Kiliszek, sind Sie froh, von Leipzig in eine polnische Stadt gekommen zu sein?

Joanna Kiliszek: Meinen Sie, Berlin ist eine polnische Stadt? Ja, in gewissem Sinne haben Sie vielleicht Recht, aber dann würde ich sagen, die Stadt ist auch ein wenig balkanisch, jüdisch, auf jeden Fall eine schwierige Stadt, eine brutale, aggressive Metropole, die viel Kraft und Energie fordert, aber eben auch kreiiert. Ich bin jedenfalls froh, hierher gekommen zu sein, weil auch viele meiner Freunde und Bekannten inzwischen hier sind.

Es könnte ja auch sein, dass Sie das polnische Berlin als belastend empfinden. Viele ehemalige Exilanten und Emigranten beklagen sich, das das Polnische Institut sie nicht genügend berücksichtige.

Die polnische Kultur ist nicht mehr die Kultur, die vor zwanzig oder dreißig Jahren präsentiert wurde. Chopin und Folklore gelten nicht mehr als einzige Exportware, und nicht jede intellektuelle Auseinandersetzung muss in einer Diskussion über den Zweiten Weltkrieg münden. Nach der Wende haben in Polen viele neue, teilweise auch kontroverse künstlerische Stömungen eingesetzt. Die einem breitem Publikum zu präsentieren, ist uns wichtig, denn sie verschaffen einen Einblick in das moderne Polen. Richtet man sich nach den Wünschen von bestimmten Gruppen, auch den polnischen, dann stärkt man nur alte Stereotype.

Waren Sie schon einmal im Club der polnischen Versager?

Aber selbstverständlich! Ein paarmal, nicht nur einmal. Ich finde es fantastisch, dass man diesen Club in Berlin nun als Treffpunkt hat. Man vergleicht sich ja auch immer mit den Russen in Berlin, und die russische Kultur ist in Berlin tatsächlich stark anwesend. Der Club der polnischen Versager bringt nun etwas frischen Wind, eine neue Perspektive, die auch auf Exilpolen und Emigranten nicht ohne Einfluss bleibt. Ja, diese ganze Ironie, das Spielen mit Streotypen, über sie zu lachen, das erfordert schon sehr viel Mut.

Wird mit dem Club auf junge Polen auch der Druck genommen, sich entweder auf die Seite der Polonia zu schlagen oder sich – auch kulturell – zu assimilieren?

Die Polonia (Begriff für Auslandspolen, die Red.) ist kein einheitliches Gefüge. Es gibt Gruppen und Grüppchen, die nicht unbedingt meiteinander befreundet sind. Aber trotzdem bleibt man eher in einem mehr oder weniger geschlossenen Kreise. Man ist unter sich. Mit dem Club der polnischen Versager entsteht etwas Neues. Künstler und Intellektuelle sagen: Ich bin hier in Berlin, bin polnischer Abstammung, ich will etwas machen, was diese Abstammung nicht leugnet, was aber ebenso mit diesem Ort, mit Berlin zu tun hat. Das ist auch ein neues Selbstbewusstsein.

Spiegelt sich dieses neue kulturelle Verständnis auch im Programm Ihres Instituts wider?

Was uns natürlich sehr wichtig ist, ist, polnische Künstler nach Berlin zu bekommen, vor allem junge Künstler. Das betrifft sowohl die Musik als auch die visuelle Kunst, den Dokumentarfilm, aber auch die Literatur. Wir haben zum Beispiel einige Projekte mit Olga Tokarczuk gemacht, die hier längere Zeit als DAAD-Stipendiatin da war. Sie ist übrigens auch sehr oft zu Gast im Club der polnischen Versager. Das Gleiche gilt auch für Sławomir Belina, einen Künstler, mit dem wir im letzten Jahr über das Art Forum zusammengearbeitet haben. Der hatte dann später eine Ausstellung im Club der polnischen Versager.

Das klingt ein bisschen danach, als ob Sie die verstaubte Institution Polnisches Institut erneuern wollen.

Selbstverständlich. Nicht, dass wir hier eine Revolution probten, aber nach den vergangenen zehn Jahren sollte man sich auch erlauben, etwas anders zu arbeiten. Das neue Konzept bedeutet dann auch, nicht mehr als exotische Institution nur polnische Veranstaltungen zu machen, sondern als offene Einrichtung aktuelle Themen aufzugreifen und zu präsentieren. Wir bemühen uns auch, mit anderen Institutionen in Berlin zusammenzuarbeiten, die uns wichtig erscheinen und die unseren Künstlern dann auch weitere Perspektiven eröffnen. Zu nennen sind da zum Beispiel das Art Forum Berlin, die Berliner Festspiele, aber auch das Hebbel-Theater, das Künstlerhaus Bethanien und die Schaubühne am Lehniner Platz.

Das ist klassisches Networking. Wollen Sie sich durch die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen mehr als bisher in die Berliner Szene hinein öffnen?

Absolut. Eigentlich wollen wir auch aus diesen Räumen an der Karl-Liebknecht-Straße raus. Unser konzeptionelles Verständnis bedeutet eigentlich, nicht mehr in solchen riesigen Räumen zu arbeiten, die sehr schwer zu bespielen sind, sondern nach außen zu gehen. Draußen lassen sich viel mehr Kontakte zwischen Polen und Deutschen herstellen.

Mit diesem Konzept ließe sich aber die bisherige Planung, dass Sie irgendwann in die neue Polnische Botschaft Unter den Linden ziehen, nicht unter einen Hut bekommen.

Ich glaube, dass der Umzug in die Botschaft für das Institut den Tod bedeutete. Sie kennen ja Unter den Linden, das ist eine Straße, die nach Geschäftsschluss am Abend tot ist. Wir wollen lieber dort sein, wo Leute sind, also weg von Karl-Liebknecht-Straße, auch wegen der hohen Mietkosten, am liebsten in Richtung Hackescher Markt.

Was glauben Sie, wie wird das Berlin in zehn Jahren aussehen? Noch mehr polnisch, noch mehr Balkan?

Sie haben es in Berlin schon heute mit einer wahnsinnig internationalen Stadt zu tun. Das wird in den nächsten Jahren noch mehr werden. Was mir aber etwas Probleme bereitet, ist die Politik. Die nimmt diese neue Stadt gar nicht an. Dabei sollte man in Berlin durchaus mit mehr Polen, aber auch Ukrainern, mit mehr Russen rechnen. Das wäre einerseits eine Situation wie in den Zwanzigerjahren, wo sich in Berlin auch die kulturellen Eliten trafen. Auf der anderen Seite wäre Berlin aber auch die Hauptstadt jenes Teils von Europa, der sonst nicht so sehr wahrgenommen wird.

INTERVIEW: UWE RADA