Ein Liebhaber vor dem Herrn

Vom Sünder zum Verkünder: Bislang galt Montell Jordan als unerschrockener Partylöwe, doch dann kam sein Damaskuserlebnis. Nun hat er dem Hedonismus abgeschworen. Porträt eines Bekehrten

Würden wir nicht alle in die Kirche gehen, wenn dort Montell Jordan singen würde?

von TOBIAS RAPP

Wenn Künstler ihre Platten nach sich selbst benennen, dann heißt es aufgepasst: Jetzt wird’s persönlich. Meistens glauben sie sich auf irgendein Image festgelegt – etwas, dem sie aber nicht mehr verpflichtet sein wollen, weil ihre eigentliche Mission ja die ist, der Welt zu verkünden, was sie wirklich fühlen. Das ist natürlich nur ein mieser Trick, um sich interessant zu machen. Aber es gibt Künstler, bei denen möchte man es dann doch wissen, was sie wirklich fühlen: etwa Montell Jordan.

Moment mal, wird sich nun der eine oder die andere denken: Montell Jordan? Das ist doch dieser „This Is How We Do It“-Typ. Der Soulsänger, der immer diese unglaublich gut aussehenden Frauen in seinen Videos hat. Der, der immer davon singt, dass er es am allerbesten bringt.

Genau dieser Montell Jordan sitzt nun vor einem, und man kann sich schwer vorstellen, dass ausgerechnet dieser junge Mann seit Jahren glaubhaft davon singt, jede ins Bett zu kriegen, die nicht rechtzeitig die Flucht ergreift. Eher wirkt er wie der eigene kleine Bruder. Oder wie der ideale WG-Mitbewohner: Würde er sich um ein Zimmer bewerben, man würde ihm sofort glauben, dass er immer abwäscht! Er trägt ein ärmelloses Hemd und hat einen festen Händedruck; seine Ehefrau wartet im Nebenraum. Sexsymbole sehen anders aus.

Nun unterscheidet sich seine neue Platte tatsächlich von ihren Vorgängerinnen. Kaum ein Stück, auf dem Jordan nicht um Verzeihung für seine Verfehlungen bittet – fragt, ob sie wirklich noch mit ihm ist. Oder beschwört, sie sei die Einzige, es gebe keine andere. Ist es das, was dieser Mann wirklich fühlt?

„Ich habe selbst in so einem Widerspruch gelebt“, sagt er. „Auf der einen Seite war ich genau der Typ, der meinem Image entsprach. Auf der anderen Seite war ich verheiratet und versuchte, ein guter Ehemann zu sein. Das war eine extrem zerstörerische Situation. Im Grunde ging es mir sehr schlecht, und ich war extrem einsam.“ Nun kann man sich zwar Schlimmeres vorstellen, als ständig von Frauen belästigt zu werden, die wissen wollen, ob man wirklich der größte Liebhaber im Business ist. Aber wer weiß, vielleicht schlägt es wirklich auf die Seele.

Was macht man in einem solchen Fall? Man geht auf Reisen. Einfach so. Um sich mal woanders umzuschauen. Montell Jordan fuhr also nach Irland, Südafrika, Algerien und nach Kuba.

„Man muss verreisen, wenn man etwa lernen will, wenn man eine höhere Bewußtseinsstufe erreichen möchte. Man muss zu den Leuten hingehen. Die Welt ist kompliziert und voller Widerspüche. Ich war in Kuba. Bei Leuten, die kein fließendes Wasser haben und wo regelmäßig der Strom ausfällt, weil er im ganzen Viertel abgestellt wird. Da war ich bei einem HipHop-Festival. Das war überwältigend, wie die kubanischen Kids versucht haben, dem US-HipHop nachzueifern: wie viel Liebe da drinsteckte. Und dann kam ein Mädchen an, die wollte, dass ich sie mit einer Zigarette verbrenne, als Andenken. Stell dir das mal vor! So etwas bringt einen zum Nachdenken.“

Was sich auf Montell Jordans neuer Platte geändert hat, sind die Details, die Zwischentöne. Da gibt es etwa das wunderschöne „Why can’t we“, das zu einer anderen Zeit, mit anderer Instrumentierung auch Platz auf Marvin Gaye’s „Let’s get it on“ hätte finden können. Auch ein Stück wie „R U With Me“ hätte man auf Jordans früheren Platten wahrscheinlich nicht gefunden, war es doch bisher immer ausgemachte Sache, dass jede mit ihm ist.

Trotzdem kann man die ganze Platte auch als Emanzipationsdrama hören: Auch wenn sie offensichtlich das genaue Gegenteil ist, dem Modell das-Leben-als-Party abschwört und stattdessen den lieben Gott und die Ehefrau um Verzeihung bittet. Es ist ein Album von jemandem, der dem alten Partyleben abgeschworen hat, um sich den wichtigen Dingen im Leben zuzuwenden: für die, die dem alten Partyleben abgeschworen haben, um sich den wichtigen Dingen im Leben zuzuwenden.

All das hat natürlich auch einen starken Hau ins Religiöse. Der ganze Pathos, das ganze Sichhinstellen-und-Zeugnisablegen-über-die-eigenen-Verfehlungen. Und fragt man Jordan, was für ihn wirklich wichtig ist, dann sagt er: „Das Wichtigste im Leben ist, dass man verzeihen kann. Meine Frau hat mir verziehen, Gott hat mir verziehen, und – was am schwierigsten war – ich selbst habe mir verziehen.“

Aber hey – wer will sich darüber lustig machen? Würden wir nicht alle Sonntag für Sonntag in die Kirche gehen, wenn dort Leute wie Montell Jordan singen würden – um mitzusingen? Wenn der liebe Gott zu irgendetwas gut ist: vielleicht dazu – wie es in „The You in Me“ heißt –, einen R-’n’-B-Sänger wie Montell Jordan als Boten auszusenden, um davon künden, dass nur die Fähigkeiten zu lieben und zu verzeihen im Leben wirklich wichtig sind?

Montell Jordan: „Montell Jordan“ (Def Soul / Mercury)