„Aufklären über das Thema Religion“

Die Religionswissenschaftlerin Susan Kamel wünscht sich ein kulturübergreifendes religionskundliches Museum

taz: Susan Kamel, warum interessiert Sie als Religionswissenschaftlerin gerade der Islam?

Susan Kamel: Der Islam lag mir nahe, weil mein Vater Ägypter ist. Er war Muslim, zwar kein praktizierender, aber jemand, der doch Rücksicht nimmt auf die Tradition. Deswegen habe ich ein emotionales Verhältnis zum Islam. Ich habe jedoch in erster Linie Religionswissenschaft studiert und dann Arabistik.

Warum haben Sie nicht die Religion Ihrer Mutter, die christliche Religion, studiert?

Mein Interesse an Religion kam zunächst daher, dass ich sehr religiös auf dem Dorf aufgewachsen bin. Nordelbisch-protestantisch. Eine Leitfrage war für mich immer: Wenn ich in Ägypten auf dem Dorf aufgewachsen wäre, wäre ich dann muslimisch? Wahrscheinlich schon. Und deswegen kam ich zum Thema des Interreligiösen, begann mich für unterschiedliche Religionen zu interessieren. Zunächst war ich in der Tat nur theologisch interessiert. Durch mein Studium hat sich das verändert, vom Studium der Religionswissenschaft als Theologie mit dem Ziel einer Wahrheitsfindung zum rein kulturwissenschaftlichen Interesse.

Das heißt, Sie fingen als Gläubige an zu studieren und schlossen als Ungläubige ab?

Ich habe irgendwann begriffen, es gibt keine universelle Wahrheit. Alles ist geprägt durch Kultur, durch die eigene Biografie. Und da ich auch noch Tibetischen Buddhismus studiert habe, kam eine Religion dazu, die selbst den Glauben an einen Gott nicht hat.

Was ist Ihrer Meinung nach das größte Missverständnis über Religion?

Dass Religion eine unmittelbare Erfahrung ist. Es ist immer eine religiös gedeutete Erfahrung, zu der ein gewisser Hintergrund da sein muss. Religion wurde immer als etwas angesehen, was um etwas Heiliges kreist, das nicht zu hinterfragen ist. Aber alles ist historisch, das heißt, es ist durch bestimmte Einflüsse bedingt und geprägt. Es ist daher ein Missverständnis, religiöse Erfahrung als unmittelbare zu deuten. Und nicht als Erfahrung, die vermittelt wird durch Biografie, Alter, Geschlecht und andere Dinge mehr.

Welche Rolle spielt Ihr persönlicher Zugang zum Islam dabei?

Der persönliche Zugang ist wichtig für meine Wissenschaft, weil man auf diese Weise Symphatien entwickelt. Und das ist eine Chance für Wissenschaft. Wenn man sich jemals zu irgendeiner Randgruppe zugehörig gefühlt hat, dann rückt man wie selbstverständlich den Rand in das Zentrum der Betrachtung. Vermeintlich Unwesentliches wird somit immens wichtig: das Alter, das Geschlecht, die Schichtzugehörigkeit, die sexuelle Orientierung, ob man behindert ist und so fort.

Das heißt, man geht verständiger an das Thema heran?

Zum einen. Es macht aber auch angreifbarer. Es macht mich zum Beispiel wütend, wenn Frauen sich ganz der patriarchalen Interpretation des Korans ergeben.

Und wie wollen Sie den Koran interpretieren?

Es geht mir darum, in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen. Deshalb auch mein Traum von einem interkulturellen Religionsmuseum. Ich möchte über Religionen aufklären. Ein Museum als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, denn es gibt nichts außerhalb der Schulen, wo man sich über Religionen informieren kann. Und dann auch noch möglichst sinnlich vermittelt. Das fehlt hier völlig. Es gibt ein solches Museum, das eine kulturwissenschaftliche Linie verfolgt, bislang nur in Schottland, in Glasgow.

INTERVIW: EDITH KRESTA