Pakistan reformiert Wahlsystem

Verfassungsänderung soll „progressiven islamischen Staat“ schaffen. Frauen bekommen mehr Parlamentssitze

DELHI taz ■ Im Rahmen der Maßnahmen gegen den religiösen Extremismus will die Militärregierung in Pakistan Verfassungsänderungen im Wahlsystem bekannt geben. Sie reihen sich ein in die Pläne von Präsident Pervez Muscharraf, das Land aus seinen islamistischen Strukturen zu lösen und zu einem „progressiven islamischen Staat“ zu machen. Dazu gehört namentlich die Aufhebung getrennter Wahlkreise für die religiösen Minderheiten der Hindus, Christen, Sikhs, Buddhisten, Parsen und der Ahmadiyas, einer islamischen Strömung, der die Verfassung die Zugehörigkeit zum Islam abspricht.

Zehn Wahlkreise für die insgesamt drei Prozent der Bevölkerung waren 1985 von General Zia al-Haq im Rahmen seiner Islamisierungspolitik eingeführt worden. Die neuen Reformpläne werden von den Vertretern der Minderheiten-Parteien begrüßt. Sie hatten Zias Maßnahme von Anfang an bekämpft, da sie zu einer sozialen und politischen Marginalisierung der nichtmuslimischen Volksgruppen geführt hatte. Auch die großen Volksparteien begrüßen die Pläne, während der „Jamaat Islami“ ihn als Willkürakt ablehnte.

Die Wahlreform hat aber auch das Ziel, die für den kommenden Oktober vorgesehenen Wahlen ins Parlament und für die Provinz-Legislaturen vorzubereiten. Zu diesem Zweck hat die Regierung die Zahl der Abgeordneten der Nationalversammlung – Pakistan hat ein Zweikammerparlament – von 237 auf 350 aufgestockt. Dazu gehört auch eine Erhöhung der Mandate für Frauen von zehn auf sechzig und die Einführung von 25 Sitzen für „Technokraten“. Beide Gruppen werden nach dem Proporzverfahren aufgrund des Anteils der Stimmen der Parteien gewählt. Es gibt Gerüchte, wonach das Wahlverfahren insgesamt vom Mehrheitssystem auf das Verhältniswahlrecht umgestellt werden soll.

Auch diese Entscheidung wurde von den Parteien begrüßt, wobei ihre Kommentare hier von Unsicherheit geprägt sind. Sie wissen nämlich immer noch nicht, was für Hürden der General ihnen in den Weg legen wird, um sein Versprechen von 1999 wahr zu machen, als er geschworen hatte, er werde „eine wahre Demokratie einführen, um die Parlamentsdiktatoren“ – gemeint waren Nawaz Scharif und Benazir Bhutto – „endgültig aus dem politischen Leben zu verbannen“. Gerade deren Parteien fürchten nun, dass die Erhöhung der Mandatszahl um ein Drittel von Muscharraf benützt wird, um die Wahlkreise neu zu gliedern und dabei ihre Hochburgen entzweizuschneiden.

Ähnliche Befürchtungen hegen die Parteien gegenüber weiteren Entscheidungen zur Wahlreform. Eine etwa betrifft die Bedingung, dass nur Personen mit einem Mittelschulabschluss für einen Legislatursitz in Islamabad oder einer Provinz kandidieren dürfen. Die Begründung lautet, dass viele Abgeordnete bisher oft nicht einmal Gesetzesvorlagen lesen konnten und damit ein bequemes Stimmfutter der Parteieinpeitscher darstellten. Die nationale Menschenrechtskommission betitelte diese Hürde als eine „elitistische“ Vorgabe, welche das Stadt-Land-Gefälle noch ausweite. In einem Land mit einem Anteil von 67 Prozent Analphabeten sei sie zutiefst undemokratisch.

BERNARD IMHASLY