Pannenhilfe für Arbeitnehmer

aus Unterföhring PHILIPP MAUSSHARDT

In der Münchner Gaststätte „Gläsernes Eck“ saß vergangene Woche ein Bild-Redakteur vor seinem Schweinebraten und warf alle fünf Minuten eine Schlagzeile in die Runde: „Kirchkrise: Nur die Gewerkschaft boomt“. Dem Redakteur gegenüber saß Steffen Schmidt, Chef der „connexx-av“, einer modernen Speerspitze der Gewerkschaften (siehe Kasten), und erzählte wieder einmal von einem anstrengenden Arbeitstag. Schmidt betreut Arbeitnehmer in den neuen Medien und in Privatsendern. Sein Telefon steht kaum noch still, seit die Ungewissheit über die Zukunft des Kirch-Imperiums auch die 6.000 Kirch-Beschäftigten in München erfasst hat. „Kirchkrise: Gewerkschaft leistet sich Luxusbüros“. Das gefiel dem Bild-Mann, als er hörte, dass die bisherigen Räume im Gewerkschaftshaus nicht mehr ausreichen und connexx in wenigen Tagen in einen sanierten Gewerbepark im Münchner Osten umzieht. Die Wände: fast fünf Meter hoch. „Kirchkrise: Gewerkschaft verheizt die Mitgliedsbeiträge“. Das sanierte Gebäude diente im Zweiten Weltkrieg als Schützenbunker, auf dem Dach war eine Flakbatterie. „Kirchkrise: Gewerkschaft zieht in Bunker um“.

Hätte Stefen Schmidt nicht den Ver.di-Anstecker am Revers seines Jacketts heften, man könnte ihn für einen Aufsteiger der New Economy halten. Leicht gestresste Gesichtszüge, Handy immer griffbereit, Augen ständig unterwegs. „Da drüben sitzt Christian Böhmer, Geschäftsführer von TV München und TV Berlin“, sagt er und grüßt freundlich hinüber, als wir später Münchens Promi-Bar, das „Schuhmann’s“ betreten. „Der fragt sich sicher auch, was macht der Schmidt nur bei der Gewerkschaft?“ Steffen Schmidt, 37, weiß, dass er bei Freund und Feind als Exot gilt und genießt es. Schmidt, Rechtsanwalt von Beruf und erst seit drei Jahren in Gewerkschaftsdiensten, hat manchen Funktionären viel zu wenig Stallgeruch. Und auf der Gegenseite wundert man sich: „Junge, bei der Gewerkschaft verdienste doch nichts!“ Doch plötzlich ist jemand wie Schmidt zum Glücksfall geworden. Er spricht die Sprache seiner „Kunden“, die er niemals „Kollegen“ nennen würde.

Kaum einen Fuß hatte die Gewerkschaft bislang in die Medienfestungen der privaten Kanäle gebracht, auf vielleicht fünf Prozent schätzt Schmidt den Organisierungsgrad der Kirch-Belegschaft. In einer Welt, die fein säuberlich nach Gewinner und Verlierer sortiert ist, hatten Arbeitnehmervertreter nur einen Platz auf der „Out“-Skala. Doch wo Imperien wanken, verwackeln auch die Weltbilder: Schmidt kommt mit Anfragen nach Beratung kaum noch nach. Eine ehemalige Mitarbeiterin einer Mulitmediaagentur spricht über ihren Erstkontakt mit Schmidt noch immer, als sei sie einem Marsmenschen begegnet: „Der hat unsere Sprache gesprochen und unsere Bedürfnisse gekannt. Dort sitzen wirkliche Fachleute mit einem ungeheuren Fachwissen und einer ganz tollen Flexibilität in jeder Hinsicht.“ Selbst als sie nach einer Krisensitzung um Mitternacht bei connexx anrief, war Schmidt erreichbar. „Also keineswegs das, was man sich unter versteinerter Gewerkschaft vorstellt – ganz im positiven Gegenteil.“

Die Stimmung in Kirchstadt-Unterföhring beschreibt Schmidt als eine Mischung aus „Gespanntheit und Unbehagen.“ Zuletzt war er am vergangenen Donnerstag wieder vor den Toren Münchens, um die Mitarbeiter der Abonnenten-Service-Gesellschaft“ (ASG), einer hundertprozentigen Tochter von Premiere-World, über das Scheitern des Sozialplans zu informieren. Die ASG soll zum 30. Juni geschlossen werden, alle 120 Mitarbeiter werden gekündigt. Die Verhandlungen über einen Sozialplan hat die Geschäftsführung jetzt scheitern lassen. Die Versammlung war für Kirch-Verhältnisse (viele Kirch-Unternehmen haben nicht einmal einen Betriebsrat) ungewöhnlich gut besucht. 70 Beschäftigte waren gekommen, und hinterher hatte Schmidt wieder einmal acht Beitrittsformulare weniger in der Tasche. „Ich bin kein Klassenkämpfer“, sagt er, „aber hier wird ein Exempel statuiert, und dies ist nur ein Vorgeschmack darauf, was Kirch-Mitarbeiter zu erwarten haben.“

Als FDP-Mitglied ist Schmidt einigermaßen gefeit vor umstürzlerischen Anwandlungen. Jahrelang saß er für die Freidemokraten als parlamentarischer Mitarbeiter im Büro der Bundestagsfraktion. Doch die Kaltschnäuzigkeit, mit der Kirch seine Angestellten schasst, macht in maßlos wütend. „Eine junge Frau hat vor der Verlängerung ihres befristeten Arbeitsvertrages kürzlich erwähnt, sie sei schwanger. Schwupp war sie draußen.“ Einem anderen Kirch-Mitarbeiter sei gedroht worden, wenn er gegen die Kündigung klage, sei ihm doch wohl klar, dass er in Bayern nirgendwo mehr eine Anstellung fände. „Das ist Berufsverbot“, sagt Schmidt, dem angesichts der Selbstherrlichkeit des Münchner Medienmoguls sogar ein Rupert Murdoch wie eine Erlösung vorkommt. „Zumindest wäre er eine Herausforderung, der das Medienkartell aufzubrechen könnte.“

Noch gibt es keine Massenentlassungen bei Kirch, noch gibt es keine Masseneintritte bei Ver.di. „Aber die gute Laune ist weg“, sagt Schmidt, als sei damit schon viel gesagt über eine Branche, in der das Lächeln der Beschäftigten zur professionellen Ausstattung zählte. Und doch nur Grimasse war. Am heftigsten, so fürchtet der Gewerkschafter, wird es die defizitären Kirch-Unternehmen treffen. Den Regionalsender TV München zum Beispiel, oder den Schlimmsender „Neun live“. Ganz zu schweigen von Premiere World. Der nächste Schritt zum Stellenabbau ist in Ismaning und Unterföhring schon beschlossene Sache: Die technischen Dienstleister SZM Studios, Plaza Media und Taurus digital sollen zusammengelegt werden. Damit will man das Unternehmen fit machen für die anstehende Fusion von Pro7Sat1 Media und Kirch Media zur großen Kirch Media AG.

Vergangenen Freitag landete in München Vertreter einer amerikanischen Investorengruppe und fuhren schnurstracks zu Leo Kirchs Anwaltskanzlei. „Wenn es stimmt, was ich da höre, dann kann es auch für die bisher Gewinn bringenden Kirchsender Sat.1 und Pro7 eng werden“, orakelt Schmidt. Offenbar gibt es Überlegungen, die erst vor kurzem fusionierten TV-Sender wieder zu zerpflücken. Selbst die bayerische Staatskanzlei sucht auf einmal Kontakt zu Schmidt und Kollegen, vielleicht, weil ein öffentlich ausgetragene Arbeitskonflikt bei Kirch im Wahljahr nicht in Stoibers Konzept passt. „Wenn sich die Politik in die Sanierung von Kirch mit einmischt, dann übernimmt sie auch die Verantwortung für die Mitarbeiter“, habe er vergangene Woche in der Staatskanzlei vorgetragen, und die Beamten hätten mit den Köpfen genickt. Auch das schlimme Wort vom „Medienproletariat“ sei gefallen. Schon heute könne ganz München „mit arbeitslosen Online-Redakteuren gepflastert werden“, sagt Schmidt, „alles junge Leute, die vor einigen Jahren dachten, sie seien Teil einer einzigen Erfolgsstory. Die haben dich damals ausgelacht, wenn du sagtest, dass du bei der Gewerkschaft arbeitest.“

In diesen Tagen sitzt Schmidt zwischen Umzugskisten oft noch nach 22 Uhr in seinem Büro in der Münchner Maxvorstadt. Denn dann erst rufen viele Kirch-Mitarbeiter bei ihm an, weil sie sich zur Dienstzeit nicht trauen. Die meisten wollen wissen, wie sie sich bei einer Kündigung verhalten sollen oder wie hoch sie um eine Abfindung pokern können. Eigentlich darf Schmidt sie als Nichtmitglieder gar nicht beraten. Aber der Mann ist flexibel. Wenn überhaupt, dann wird die Frage nach einer Mitgliedschaft bei connexx eher beiläufig und am Ende des Gesprächs gestellt. Selbstverständlich kann man auch online der Gewerkschaft beitreten.

Eine Kollegin von Schmidt nannte sich schon einmal „Streetworkerin auf dem Datenhighway“. Solche Begriffe gefallen auch Schmidt, der sich als „gelber Engel“ beim „Arbeitnehmer-ADAC“ mit 24-Stunden-Notrufnummer versteht. „Kirchkrise:“, hatte der Bild-Redakteur zum Abschied gedichtet, „Gewerkschaft wacht endlich auf“.