Nicht frei von Populismus

Florian Gerster, künftiger Chef der Arbeitsämter, kündigt einen Paradigmenwechsel an – und brüskiert seinen Minister

von ULRIKE HERRMANN

Florian Gerster wollte ein Zeichen setzen. Die Botschaft: Wo ich bin, da ist die neue Arbeitsmarktpolitik. Da ist endlich „grundlegende Sanierung“. Damit brüskiert Gerster nicht nur seinen künftigen Chef Walter Riester, der für den Arbeitsmarkt zumindest amtlich zuständig ist. Damit markiert der designierte Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit auch, wohin sich die Arbeitsmarktpolitik in den nächsten Jahren bewegen wird.

Es ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel. Zwar ist nicht alles neu, was Gerster heute im Spiegel-Interview verkündet. Neu ist aber die Lautstärke, mit der Gerster seine Botschaft in die Gesellschaft sendet. Alarmierend neu.

Und nicht frei von Populismus. So soll bei Älteren die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verkürzt werden und künftig nicht mehr 32 Monate betragen. „Wir können es uns nicht leisten, Ältere mit finanziellen Anreizen aufs Abstellgleis zu stellen, während in vielen Branchen gleichzeitig Fachkräfte fehlen.“ Das klingt gut. Außerdem ist wahr, dass wir mehr Spezialisten gebrauchen könnten – dies ist ja der tiefere Sinn der Zuwandererdebatte. Und es ist auch wahr, dass das Arbeitslosengeld von den Unternehmen oft genutzt wird, um ältere Arbeitnehmer verfrüht in Rente zu schicken.

Macht also gleich zwei wahre Fakten – aber noch keine wahre Aussage. Denn die Verknüpfung, die Gerster unterstellt, die gibt es nicht. Die Arbeitnehmer, die auf Kosten der Bundesanstalt in den Vorruhestand geschickt werden, besitzen meist genau nicht die Qualifikationen, die auf dem Arbeitsmarkt so dringend gesucht werden. Sonst hätten wir längst eine Debatte über „Ältere statt Inder“.

Vor allem will der künftige Chef der Arbeitsämter die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen. Eine schlichte Umorganisation der Sozialleistungen ist damit nicht gemeint, wie Gerster deutlich macht. „Die Unterstützung für Langzeitarbeitslose wird sich künftig eher am Niveau der Sozialhilfe als an dem der heutigen Arbeitslosenhilfe orientieren“, sagt der Sozialdemokrat aus Mainz.

Was Gerster nicht sagt, das Finanzministerium aber schon angedeutet hat: Man hofft damit zweistellige Milliardensummen zu sparen. Sie werden dringend gebraucht, um den ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, den man der EU-Kommission in Brüssel für das Jahr 2004 versprochen hat. Das sollte im Wahlkampf eigentlich nicht so krass nach außen dringen – sondern erst mit der Gemeindefinanzreform im Jahr 2003.

Ausgerechnet die Ärmsten der Gesellschaft, die Langzeitarbeitslosen, sollen also Milliardenlöcher stopfen. Das bedarf einer Begründung. Gersters Argumentation lässt sich überspitzt so zusammenfassen: Künftig wird es überhaupt keine Langzeitarbeitslosen mehr geben. Für seine fünfjährige Amtszeit als Chef der Bundesanstalt für Arbeit verspricht Gerster: „Ich bin sicher, dass wir die Massenarbeitslosigkeit deutlich reduzieren können.“

Wie? Mit dem „Mainzer Modell“, das Gerster selbst als rheinland-pfälzischer Sozialminister erfunden hat. Die Idee: Schlecht bezahlte Jobs werden dadurch attraktiv, dass der Arbeitslose zusätzlich einen staatlichen Zuschuss zu seiner Sozialversicherung erhält.

Allerdings wurde dieses Modell bereits bundesweit ausgedehnt. Selbst sehr wohlwollende Experten gehen davon aus, dass es nicht mehr als 30.000 Stellen schafft. Pessimistischere Kenner rechnen höchstens mit 10.000 neuen Jobs.

In Rheinland-Pfalz, dem Heimatland des Projekts, konnten bisher ganze 726 Arbeitsplätze kreiert werden. Für mehr neue Jobs wären auch gar keine Subventionsmittel da – denn es soll ja gespart werden.

Gerster hat dafür eine Lösung: Er will bei der Umschulung und Qualifizierung kürzen. Will lieber die Putzhilfe im Haushalt subventionieren, als ihr einen Kurs in Web-Design anzubieten – der zwar interessanter sein mag, sie aber auch nicht wieder in Lohn und Brot bringt.

Auch hier ist Gerster radikal ehrlich, bringt den heimlichen Code in Deutschland auf den Punkt: Wir sind eine Zweidrittelgesellschaft. Und das untere Drittel hat dankbar zu sein, wenn es für den Rest die Küche scheuern darf. Für einen Lohn, der ganz knapp über der Sozialhilfe liegt. Mehr ist angeblich nicht drin.