Ein Leben als Postkarte

Der Leuchtturm im nordfriesischen Westerhever ist zwar zu Tode fotografiert, steht aber seit langem leer  ■ Von Wolfgang Runge

Deutschlands romantischster Arbeitsplatz steht leer. Der Leuchtturmwärter von Westerhever sitzt nicht in Westerhever, sondern in Tönning (beides Kreis Nordfriesland). Der 41,5 Meter hohe und rot-weiß geringelte Turm wird vom Wasser- und Schifffahrtsamt in Tönning (WSA) fernüberwacht und kontrolliert. Seit der Automatisierung im Jahre 1979 ist auch der letzte Leuchtturmwärter aus der Dienstwohnung am Fuße des Turmes in ein Häuschen auf dem Festland gezogen.

Der Leuchtturm Westerhever ist ein beliebtes Postkartenmotive an der schleswig-holsteinischen Westküste. Doch was den Touristen nur als Urlaubsgruß oder Ausflugsziel dient, hat vor rund 100 Jahren die Schifffahrt nachts in Küstennähe praktisch erst möglich gemacht, erzählt der pensionierte Leuchtturmwärter Heinrich Geertsen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts warnten an Schleswig-Holsteins Westküste tagsüber nur wenige Tonnen die Schiffer vor flachen Stellen, den so genannten Untiefen. Nachts jedoch war in diesem Bereich die Schifffahrt nahezu unmöglich, und viele Kapitäne mieden daher besonders zur Zeit der Frühjahrs- und Herbststürme die Westküste, begründete der „Nautische Verein“ vor rund 100 Jahren seine Forderung nach dem Bau der Leuchtfeuer auf Hörnum, Pellworm und Westerhever. Als letzter der drei Türme wurde Westerhever 1907 nach rund einjähriger Bauzeit fertig gestellt.

Westerhever steht auf einer extra aufgeschütteten vier Meter hohen Warft. „Der Boden der Warft wurde mit Pferden fest geritten“, erzählt Geertsen. Damals hatten die Arbeiter für Stundenlöhne zwischen 55 und 80 Pfennig insgesamt 127 Kiefernpfähle in den Boden gerammt. Darauf kam ein 16-eckiges und eineinhalb Meter starkes Fundament aus Beton. So steht der zehngeschossige Turm aus insgesamt 608 gusseisernen Platten rund 4,70 Meter über dem Gelände. Das Baumaterial wurde so weit wie möglich auf dem Wasserweg transportiert. Lediglich die letzten vier Kilometer gingen auf extra verlegten Feldbahngleisen über Land.

„Den Beruf des Leuchtturmwärters brachte man von jeher stets mit einem Hauch von Romantik und Einsamkeit in Verbindung“, betont Geertsen. Der Leuchtturm Westerhever steht wie die meiste seiner „Gefährten“ weit weg von befestigten Straßen auf vorgeschobenem Posten. Der große Gemüsegarten an der Leuchtturm-Warft lieferte Gemüse und Kartoffeln für das ganze Jahr, „so dass auch bei mehrtägigem Land-Unter kein Anlass zur Sorge bestand“, sagt Geertsen. Denn die Verbindung zum Festland konnte durch Stürme leicht überflutet oder durch aufgetürmte Eisschollen unpassierbar werden. „Die Schulkinder blieben dann entweder zu Hause oder übernachteten bei Verwandten auf dem Festland.“

Der Leuchtturmwärter musste nicht nur nach Sonnenuntergang das Licht ein- und bei Sonnenaufgang wieder ausschalten. Zu seinen Aufgaben gehörte neben der Wartung der technischen Einrichtungen auch der so genannte Küstenwachdienst: Beobachten der Nachbar-Feuer, der See und des Wetters. Und natürlich das Putzen der Scheiben und Prismen im so genannten Laternenraum des Leuchtturms. Vor 100 Jahren mussten außerdem alle neun Stunden die Kohle-Brennstäbe der Gleichstrom-Bogenlampe ausgewechselt werden. Den zum Betrieb notwendigen Strom lieferte bis 1951 eine von Dieselmotoren angetriebene Dynamo-Maschine.

Heute läuft in Westerhever alles voll automatisch. Die elektrische Energie kommt per Kabel aus dem öffentlichen Stromnetz, und die 2000-Watt Xenon-Hochdrucklampe hat eine Brenndauer von bis zu 10 000 Stunden, sagt Jürgen Hinrichsen vom Wasser- und Schifffahrtsamt in Tönning. Eine umlaufende Blende lässt alle 30 Sekunden einen Blitz hinaus: Das Licht ist noch in 22 Seemeilen (rund 40 Kilometer) auf dem Meer zu sehen. „Ausfälle werden in Tönning angezeigt“, sagt Jürgen Hinrichsen. Werkstattmitarbeiter würden dann hinaus fahren und den Schaden beheben.

Der „Leuchtturmwärter 2002“ in Tönning ist übrigens zuständig für sämtliche 18 Leuchttürme und die vier kleineren Leuchtfeuer der Westküste Schleswig-Holsteins einschließlich Helgolands und sämtlicher Inseln von der dänischen Grenze bis kurz vor die Elbmündung. Ein immens großes Gebiet. Und von „Romantik“ keine Spur mehr.