Zettels Traum mit Klebestreifen

Teils klebrig, aber begeisternd: Shakespeares „Sommernachtstraum“ am Schauspielhaus  ■ Christian T. Schön

Ja, ja, die Liebe. Ist sie glücklich, bedeutet das noch lange nicht, dass sie es auch bleibt. Gerade William Shakespeare ist kein Garant für verwicklungs- und verwirrungsfreie Liebeleien. Von den Tragödien ganz zu schweigen. Ein Sommernachtstraum, das am Wochenende am Schauspielhaus Premiere hatte, begnügt sich damit, erstere Eigenschaft auf die Spitze zu treiben.

Die Regisseure Phelim McDermott und Julian Crouch haben für ihre Inszenierung das Beziehungsgeflecht des Textes etwas gelüftet. Peter Lohmeyer und Sabine Orléans ließen sie die Rollen des Theseus/Oberon beziehungsweise Hippolyta/Titania günstig vereinen. Alles andere bleibt beim Alten: Zuerst lieben Demetrius und Lysander Hermia, ab dem dritten Akt lieben dann beide Helena. Konflikte und Verwirrungen sind vorprogrammiert. Am Ende lieben sich alle gerade wieder so, dass es aufgeht. Dank der hervorragenden Wahl der SchauspielerInnen behält der Zuschauer bei alledem die Übersicht. Mira Bartuschek ist eine hinreissende quiekende, devot-zi-ckige Helena. Bjarne Mädel ein herrlich von jener genervter Demetrius, die Hände lässig in den Taschen, und Ben Daniel Joehnk ein lüsterner Lysander mit Beckenbewegung. Nur Edith Adam als Hermia reitet gelegentlich zu stark die Reime ab.

Das Team Julian Crouch und Graeme Gilmour beschränkt sich in seinem einfachen Bühnenbild auf Tür- und Bilderrahmen, Klebeband und geflochtene Körbe. Und generiert daraus mal eine Gemäldegalerie, mal einen Hof oder einen Wald, in dem sich die turtelnden Pärchen verlaufen und in dem Handwerker ein Stück proben. Besonders effektvoll ist der Einsatz des Klebebands gelungen: Geräuschvoll lässt es sich zum Sternenschweif abrollen, leise knis-ternd verstärkt es den Eindruck der verzauberten Welt oder – illuminiert – von flirrendem Schlaf. Fraglich bis zum Schluss bleibt allenfalls die Symbolik der leeren Bilderrahmen. Fallen die Rollen aus ihrem Rahmen? Kommt es zu einem Bildersturm? Wird die Sommernachts-Traumwelt von einem incognito ausserhalb der Bühne verfolgt? Nicht ersichtlich, nein.

Ja, die Liebe. Woher kommt sie, wohin geht sie? Aus freien Stü-cken, glaubt man, finden zwei Menschen zueinander, die sich lieben. In Shakespeares Zeiten kommt hinzu, dass sich Väter, Lords und Könige ein Mitspracherecht ausbedingen, wer wen liebe und eheliche. Neben solchen Faktoren zieht nun im Sommernachtstraum noch der Elf Puck (kaum wiederzuerkennen: Bernd Moss) zusätzliche Strippen hinter den Kulissen. Als fieser Schicksalsschläger verteilt er Liebestropfen an diverse Protagonisten, führt damit besagte Verwirrungen herbei und verwandelt zudem den Handwerker Zettel in einen Esel, in den sich die Elfenkönigin Titania verliebt.

Die ungewöhnliche Proben-Arbeitstechnik des Regie-Gespanns – die SchauspielerInnen müssen die Szenen, ohne zu sprechen, mit dem Text vom Tonband spielen, um sich auf den Körper zu konzentrieren – macht sich in allen Szenen bezahlt, besonders lebendig in Bernd Moss' Puck-Figur, der (scheinbar reibungslos) über den Boden rutscht und storchbeinig durch die Türbögen flitzt. Jede Figur zeichnet sich durch eine individuelle Körpersprache aus, die in höchster Spielfreude zum Ausdruck kommt – beispielsweise im Streit um Hermia und Helena: Lysander und Demetrius guerrieren sich wie kleine Jungs auf dem Schulhof. Wunderbar harmonieren diese Körperbewegungen mit den meist schlichten Kleidern. Und auch liebevolle Details wie die Liebkosungen der Paare oder die schwerelos tanzenden Elfen auf Stelzen wirken leichtfüßig.

So. Und was war jetzt nochmal diese Sommernacht? „Irgendeine Macht“ (Demetrius), „ein Traum“ (Zettel) – Zettels Traum – oder ein Spiel des Puck, der am Schluss Gollum gleich (siehe Der Herr der Ringe, ansonsten: dionysisch) am Bühnenrand sitzt? Seitenlang erstreckt sich der Zitat- und Sprichwortschatz zum Stichwort „Liebe“. Angelehnt an Franz Grillparzer lässt sich nach diesem Abend einmal mehr sagen: Liebe ist eine Zaubermacht.

nächste Aufführungen: 13., 19. + 28.3., 20 Uhr, Schauspielhaus