Klappe auf, Tür zu

In China beginnt der Nationale Volkskongress. Da wird erst lange geredet und dann kurz abgenickt

aus Peking JUTTA LIETSCH

Es ist wieder so weit. Kurz bevor die ersten Sandstürme Peking in eine gelbgraue Wolke hüllen, sind wie jedes Jahr die knapp 3.000 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses aus allen Ecken des Landes in die chinesische Hauptstadt geströmt. Knapp zwei Wochen lang werden sie von heute an in der Großen Halle des Volkes neben dem Tiananmenplatz sitzen, den stundenlangen Reden von Ministern und anderen Politikern lauschen und schließlich ermattet den Rechenschaftsberichten und Plänen sowie dem neuen Regierungshaushalt zustimmen.

Das ist eines der großen Rituale von Chinas KP, um dem laobaixing – „die alten hundert Namen“ – wie sich das einfache 1,3-Milliarden-Volk in China nennt, die Illusion der Mitsprache bei den wichtigen politischen Entscheidungen der Obrigkeit zu vermitteln. Den Anfang macht traditionell Regierungschef Zhu Rongji mit seiner Bilanz. Der Wirtschaftsreformer, der für seine relativ freimütige Beschreibung der enormen Probleme des Landes bekannt ist, hat nur noch ein Amtsjahr vor sich, bevor er in Pension gehen soll. Mit gewisser Spannung erwartet werden auch die Berichte der Planungs- und Finanzminister, die erklären müssen, wie sie die dramatisch wachsende Arbeitslosigkeit und den weiteren Niedergang der Landwirtschaft und der Staatsbetriebe bekämpfen wollen, damit soziale Unruhen vermieden werden.

Um trotz der Flaute auf dem Weltmarkt in China ein Wirtschaftswachstum von mindestens 7 Prozent zu erreichen, wird die Regierung noch mehr Gelder von den Banken für große Infrastrukturvorhaben und marode Staatsunternehmen borgen müssen.: Das Haushaltsdefizit für dieses Jahr wird auf rund 43 Milliarden Euro steigen, heißt es in Peking – 19 Prozent mehr als 2001. Damit soll auch der Schock abgefedert werden, den der Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO) bringen wird. Die Angst ist groß, dass viele chinesische Betriebe der ausländischen Konkurrenz nicht standhalten können.

Besonders schlimm sieht es in der Landwirtschaft aus, die über zwei Drittel der Bevölkerung ernähren muss: Vielerorts können sich die Bauern weder Pestizide noch Dünger leisten, um ihre Produktion zu steigern. Noch nie seit der Gründung der VR China 1949 war der Unterschied der Einkommen zwischen Bauern und Städtern so groß wie heute. Die Nöte der Bauern standen bereits ganz oben in den Reden der „Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes“, die fast zeitgleich zum Volkskongress stattfindet und noch zahnloser ist. Sie gilt als „Beratungsgremium“, in dem verdiente Bürger sich einmal im Jahr versammeln.

Zu den wenigen Höhepunkten des Volkskongresses zählen die Berichte des Obersten Staatsanwaltes und des Höchsten Gerichtes über den Stand der Rechtsreformen und den Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption. Die Wut in China über schlecht ausgebildete und bestechliche Richter ist groß. Wenn die Gesetzeshüter ihre Berichte vorlegen, gibt es denn auch gewöhnlich die meisten Gegenstimmen der Abgeordneten. Xiao Yang, der Chef des Höchsten Gerichtes, räumte jüngst gegenüber chinesischen Zeitungen ein, dass es „extrem schwierig“ sei, die Gesetze durchzusetzen – unter anderem, weil die 3.568 Gerichte mit ihren 310.000 Richtern und Rechtspflegern es oft nicht wagen, sich gegen die lokalen Politiker und ihre Geschäftsfreunde zu stellen.

Auch wenn die meisten Chinesen keineswegs, wie die China Daily gestern behauptete, „an ihren Fernsehschirmen und Zeitungen kleben, um zu verfolgen, wie die höchsten Gesetzgeber der Nation sich um die Sorgen der Öffentlichkeit kümmern“: Wie in jedem Jahr nutzen Regierungskritiker den Volkskongress, auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Der Ökonom Cao Siyuan, Autor des chinesischen Bankrottgesetzes, schlug zum Beispiel vor, künftig „mindestens drei Kandidaten“ für das Amt des Regierungschefs und die Ministerposten aufzustellen, die dann von den Abgeordneten gewählt werden sollen. Ein netter Versuch, doch Cao weiß selbst, dass sein Vorstoß niemals Wirklichkeit werden kann: Er käme einer Revolution gleich. Denn die Spitzen von Regierung und Partei werden bis heute hinter verschlossenen Türen bestimmt – und diese Macht werden sich die Mandarine nicht nehmen lassen.