Angriff für die Heimatfront

US-Truppen jagen weiter Bin Laden. In den USA wächst die Sorge, es fehle eine Strategie für ein Ende des Afghanistankriegs

von ERIC CHAUVISTRÉ

Der demokratische US-Senator Robert Byrd brach ein Tabu – durch die einfache Frage: „Wann werden wir wissen, wann wir den Sieg errungen haben?“ Damit kritisierte erstmals seit dem 11. September ein führender Kongressabgeordneter öffentlich das Vorgehen der Bush-Regierung im so genannten „Krieg gegen den Terror“.

„Wir sind nach Afghanistan gegangen, um die Terroristen zu jagen. Aber wir wissen nicht, wo Bin Laden ist oder ob er tot oder lebendig ist“, sagte Byrd letzte Woche bei einem Hearing im US-Kongress. Unter US-Politikern wächst die Befürchtung, dass das Pentagon zwar einen Plan hatte, schnell nach Afghanistan hinein zu gelangen, aber keinen Strategie, wie der Einsatz dort zu beenden ist. „Dies wird ein endloser Krieg“, pflichtete Senator Christopher Dodd seinem Kollegen Byrd bei. Eine exit strategy ist nicht erkennbar, so das Gefühl unter demokratischen Politikern in Washington, die den Krieg bislang vorbehaltlos unterstützten.

Dieser Unmut könnte sowohl die Entscheidung für die groß angelegte Offensive in der Nähe der Stadt Gardes im Osten Afghanistans erklären als auch die plötzlich angestiegene Informationsmenge, die das Pentagon über die Aktivitäten der US-Truppen an die Öffentlichkeit gelangen lässt. Amerikanischen Journalisten scheinen Angaben über Art und Anzahl beteiligter US-Truppen in den Block diktiert, so präzise sind die Angaben aus der Kampfzone. Es gilt die Heimatfront zu beruhigen und zu zeigen: Wir tun was. Eine ähnliche Strategie fuhr das Pentagon Ende Oktober, als die Kritik am Vorgehen im Kampf gegen die Taliban erstmals lauter wurde. Das Verteidigungsministerium zeigte daraufhin sogar Fernsehbilder von einem angeblichen Kampfgeinsatz der sonst streng geheim operierenden Special Forces.

Dass es auch Alliierte gibt, denen so viel Öffentlichkeit nicht in die innenpolitische Landschaft passt, ist für US-Militärs kaum nachvollziehbar. Von nation building, wie die Amerikaner den Aufbau staatlicher Strukturen in von Kriegen erschütterten Ländern nennen, hält die Bush-Regierung nichts. Pentagon-Sprecher weisen in ihren fast täglichen Briefings ständig darauf hin, dass es in Afghanistan um einen Kampfeinsatz zur Durchsetzung von US-Interesse im Rahmen der weltweiten Terroristenjagt geht – und nicht darum, den Afghanen eine friedliche Zukunft zu schaffen.

Je mehr militärische Macht eingesetzt wird, je schneller der Kampfeinsatz beendet ist, desto besser. Gestreut wird deshalb auch, dass das Pentagon aus dem Feldzug in Tora Bora gelernt habe und nun mehr eigene Truppen einsetze. Bei den Kämpfen um Tora Bora im Dezember konnten angeblich hunderte Taliban und Al-Qaida-Kämpfer über die Grenze nach Pakistan fliehen. Ortskundige Warlords halfen ihnen für eine Gebühr von 5.000 Dollar gerne aus.

Doch auch weiterhin sind nach Pentagon-Angaben vor allem Afghanen an den Kämpfen beteiligt, angeleitet von Spezialeinheiten der Alliierten und ihrer Verbündeten. Aus der Stadt Khost wird berichtet, US-Soldaten hätten dort Kämpfer angeworben und mit Hubschraubern ins Einsatzgebiet gebracht. Bei Gardes war es Anfang Februar zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Warlords gekommen. An kampferprobten und ortskundigen afghanischen Kämpfern mangelt es nicht.

Neben afghanischen Kämpfern scheinen sich die USA bei der neuen Großoffenive vermehrt auch nicht-afghanischer Spezialeinheiten zu bedienen. Australische, kanadische dänische, französische, norwegische – und deutsche Truppen seien an dem Einsatz beteiligt, verriet ein Pentagon-Sprecher beiläufig, während solche Informationen in Berlin noch als Staatsgeheimnis behandelt werden. Ausgerechnet Großbritannien, engster Verbündeten der USA, taucht bei der Auflistung nicht auf. Dabei ist es seit Monaten ein schlecht gehütetes Geheimnis, dass die britische Spezialeinheit SAS in Afghanistan im Einsatz ist. Die lead nation der Isaf-Schutztruppe in Kabul durfte diesmal zum eigenen Schutz möglicherweise draußen bleiben. Vielleicht werden sie noch für den Rückzug aus Afghanistan gebraucht.