Informationspolitik ist kein Nebenkriegsschauplatz

Über Einsatz deutscher Spezialeinheiten wird nebenbei von den USA informiert. In Berlin herrscht Geheimniskrämerei. Das lässt zu viele Fragen offen

BERLIN taz ■ Egal ob vor dem Verteidigungsausschuss oder nach der Bundespressekonferenz: Wo immer es um den Einsatz der deutschen Spezialkräfte in Afghanistan geht, kann man in letzter Zeit kleine Grüppchen aus Ministeriumssprechern und Journalisten beieinander stehen sehen. Manchmal gesellt sich auch der eine oder andere Abgeordnete dazu. Dann wird um die Frage gestritten, wie viel die deutsche Öffentlichkeit über die Operationen der „KSK“ genannten Bundeswehreinheiten erfahren sollte – und wie viel die Bundesregierung verschweigen darf.

Das Bedürfnis nach Diskussion ist auf beiden Seiten ungewöhnlich groß, denn für die Politikverkäufer wie die Berichterstatter handelt es sich um eine Premiere: So restriktiv wie im Fall Afghanistan ist die rot-grüne Regierung noch nie mit Informationen umgegangen – und noch ist offen, ob die Öffentlichkeit ihr so viel Geheimniskrämerei durchgehen lässt. Der Ausgang dieses Disputs dürfte den Maßstab für künftige militärische Konflikte setzen.

Spätestens seit gestern hat sich gezeigt, dass die Informationspolitik kein Nebenkriegsschauplatz ist. Die USA ließen am späten Sonntagabend deutscher Zeit verlauten, an ihrer großen Offensive im Osten Afghanistans sei neben mehreren anderen Nationen auch Deutschland beteiligt. Die Bevölkerung hierzulande wird also nur zufällig informiert, ohne Zutun der für den Einsatz politisch Verantwortlichen in Berlin. Überdies verhindert die Weigerung der Regierung, Auskunft zu geben, eine politische Bewertung.

Der Grund dafür: Massgebliche Fakten fehlen, so gerne Journalisten auch danach fragen. Welche Aufgaben übernehmen die Deutschen im Rahmen der amerikanischen Offensive? Wandelt sich damit die Aufgabe der KSK von kurzen Anti-Terror-Operationen wie der Festnahme von Verdächtigen zu einem Bodeneinsatz an der Seite regulärer US-Truppen? Welchen Einfluss hat das deutsche militärische Kommando dabei auf das Vorgehen und die Wahl der eingesetzten Waffen? Gibt es eine Arbeitsteilung zwischen US Air Force und deutscher KSK, bei der die einen mögliche Höhlenverstecke mit Thermobomben angreifen, während die anderen flankierend am Boden tätig werden?

Das Verteidigungsministerium wehrte auch am Montag wieder Fragen mit dem Hinweis ab, Sicherheitsgründe gestatteten es nicht, über „Art, Umfang, Zeit und Ort“ von Einsätzen der Spezialkräfte Auskunft zu geben. Durch die Auskunftsbereitschaft der USA ist diese Begründung allerdings weniger überzeugend geworden. Franz Borkenhagen, der Sprecher von Verteidigungsminister Rudolf Scharping, machte daher aus seinem Ärger keinen Hehl. „Ich drücke mich sehr zurückhaltend aus“, so Borkenhagen, „der Informationsbeitrag in den Vereinigten Staaten wäre nicht notwendig gewesen.“

Stereotyp verwies Scharpings Haus auch gestern wieder auf den Verteidigungsausschuss, dessen Obleute regelmäßig informiert würden. Trotzdem kamen zuletzt gerade an der Kontrollfähigkeit der Parlamentarier erhebliche Zweifel auf. So referierte Scharping zwar am Mittwoch vergangener Woche stundenlang vor den Abgeordneten, verschwieg ihnen aber schlicht, dass Deutschland nun doch für einen Teil der UNO-Schutztruppe ISAF die Führungsverantwortung übernehmen wolle. Der Ausschussvorsitzende Helmut Wieczorek (SPD) wiederum hatte bereits vergangene Woche die Zahl von 100 KSK-Kämpfern in Afghanistan mit 200 ABC-Abwehrkräften in Kuwait verwechselt. Befragt nach der deutschen Beteiligung am US-Einsatz, sprach er nun gestern in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ausfürlich über deutsche Hilfe beim „Transport von Verwundeten in Krankenhäuser“. Borkenhagen dagegen stellte in der Bundespressekonferenz klar, dass es sich dabei um die Tätigkeit von deutschen Mitgliedern der UNO-Schutztruppe Isaf in Kabul handelte – und mitnichten um die von den Amerikanern genannte Operation in Ostafghanistan. Restlos verwirrend wurde die Lage, als auch Minister Scharping nach einem Auftritt in Potsdam von der Nachrichtenagentur dpa mit dem Satz zitiert wurde, die deutschen Soldaten „leisteten dort bei der laufenden Offensive gegen Kämpfer der Taliban und der Terrororganisation al-Qaida ‚sanitätsdienstliche Unterstützung‘“. Das vorläufige Ergebnis der restriktiven Informationspolitik lautet daher also: Die Verwirrung steigt, je weniger gesagt wird. PATRIK SCHWARZ