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Die Schule der Löwen

Die ethnologischen Sammlungen in Dahlem zeigen erstmals zeitgenössische Kunstaus Indonesien. Dabei spielt die Auswahl ironisch mit folkloristischen Zuschreibungen

Wer die Politik kritisieren will, ist hierzulande kaum auf die Form der Tierfabel angewiesen. In Indonesien aber war das politische Märchen noch unter der Regierung von Suharto ein Weg, an der Zensur vorbeizukommen. Die Regierungsspitzel, die, wie Viola König, Kuratorin der Sonderausstellung „Zwischen Tradition und Moderne – Junge Künstler aus Indonesien“, erzählt, zu jeder Vernissage geschickt wurden, fanden an Krischna Murtis Installation „Von Ameisen lernen, Schlange zu stehen“ keinen verdächtigen Missbrauch von nationalen Farben oder Symbolen.

Die Löwen, die Murti aus Holz und Bastgeflecht gebaut hat, bilden eine Prozession. Ihren Status als Könige der Tiere schränkt freilich ein, dass vor den Augen eines jeden ein Fernseher flimmert. Als Bildungsprogramm hat ihnen Murti einen Film über den Staat der Ameisen verordnet, die unermüdlichen Arbeiter. Der Trick an der Sache ist: Die Löwen hat Murti an traditionell balinesische Verbrennungssarkophage angelehnt, auf der Seite der Ameisen dagegen nutzt er Hightech. So ließ sich der Anachronismus einer Diktatur, die sich der in der Produktion längst vollzogenen Ankunft in der Moderne zu verweigern trachtete, eben auch beschreiben.

Indonesische Kunst, das zeigte schon der erste, größere Teil des Kunstpaketes aus dem Inselarchipel in der Asian Fine Arts Galerie (s. taz, 1. 2. 2002), ist ungemein argumentationsfreudig und unterhaltsam. Die Ausstellung, die auch durch Japan, Australien und die Niederlande tourte, gleicht einer visuellen Alphabetisierungskampagne: indonesische Kultur für Anfänger. Machen wir es für die Ausländer nicht zu kompliziert, scheinen sich die inzwischen international agierenden Künstler gedacht zu haben. Für die Ethnologischen Sammlungen in Dahlem ist die Öffnung gegenüber der Gegenwart eine Premiere: Viola König hat dafür Künstler ausgesucht, die sich ironisch mit westlichen Stereotypen von traditioneller Kunst und ihrer Stillstellung in der Völkerkunde auseinander setzen.

Nindityo Adipurnomo beispielsweise nennt eine Serie fotografisch überarbeiteter Selbstporträts „Traditional Artists, Take away welcome“, denn Traditionen muss pflegen, wer auf dem niedrigschwelligen Kunstmarkt der Souvenirs sein Einkommen einfahren will. Adipurnomo dagegen verramscht in seinen Collagen altgedientes Kulturgut ebenso wie neu eingeführten Trash.

Das Heilige mit dem Profanen zu mischen, scheint jedenfalls ein großes Vergnügen für die indonesischen Künstler. Schattenspiele und Gamelan-Musik poliert Heri Dono mit Zitaten der Industriekultur und der Kulturindustrie auf. In den Silhouetten des Schattenspiels verbünden sich Dämonen und Geister mit Mutanten und Robotern, die aus Comics herübergewechselt sind; eigentlich, denkt man, besuchen sie bloß eine ältere, lang vergessene Verwandtschaft. Schließlich hat sich die Moderne schon immer mehr an der Tradition gemästet, als sie zugeben möchte.

KATRIN BETTINA MÜLLER

bis 28. 4., Di.–Fr. 10–18, Sa. und So. 11-18 Uhr, Ethnologisches Museum, Lansstr. 8

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