Der Tiger hetzt die Kunden

Wer stoppt die Hilfstankwarte dieser Welt? Ein Eisessvorgang und die Folgen

Ein Streifenwagen raste mit Drehlicht und Geheul vorbei durch die herabfallenden Fluten

Hinterm Tresen der Dorftankstelle standen zwei laut herumalbernde Halbstarke. Ihr ganzes unvernünftiges Wesen jagte mir einen Schauder über den Rücken. Sympathisch indes war die Tatsache, dass mir einer von ihnen im Tran zu viel herausgab. Ich hatte zwar mein Eis bezahlt, aber das Benzin im Wert von zehn Mark umsonst bekommen. Schade, dass in den Motorradtank nicht mehr hineinpasste.

Gemütlich schmolz auf dem Weg zur Zapfsäule das Eis in meinem Mund. Ich stülpte den Helm über und sah zum Himmel. Tiefblaue Gewitterwolken zogen sich im Südwesten zusammen. Mit einem Wheely startete ich, eine Staubwolke hinterlassend, und fuhr schon bald dem fürchterlichsten Unwetter entgegen. Blaulicht weit hinter mir. Unter den nassen Wolkenbehängen südlich schienen sich bereits Unfälle ereignet zu haben, die Rettungskräfte erforderten.

Ich beschleunigte und verließ bei nächster Gelegenheit die Bundesstraße, um über kleinere Landstraßen und Knüppeldämme das Gewitter zu umfahren. Schon nach wenigen Minuten steckte ich, von einem Waldweg abgekommen, im Gehölz eines unwegsamen Berghangs. Mit Mühe gelang es mir, den Absturz der Maschine in eine kleine Bachschlucht zu verhindern. Von weitem war eine Polizeisirene zu hören, als ich mich glücklich auf den Weg zurückfräste.

Verdreckt, aber noch immer trocken, erreichte ich endlich eine geteerte Landstraße. Doch die Freude verflog mit dem ersten Regenschleier. Es gab kein Entrinnen. Dunkles Gewölk tummelte sich bereits über den Mischwaldspitzen. Waren es Blitze oder Warnblinklichter, die da im Rückspiegel aufschienen? Kurz darauf ging der Wolkenbruch los. Ich stoppte und stellte mein Gefährt hinter ein Buswartehäuschen, in das ich mich rettete. Ein Streifenwagen raste mit Drehlicht und Geheul vorbei durch die herabfallenden Fluten.

Das Gewitter verzog sich nur sehr langsam und nachgrummelnd. Ich wrang meine Handschuhe aus und fuhr das letzte Wegstück tropfend durch die dampfenden Wälder. Am Ortseingang der angesteuerten Kleinstadt stand ein grünweißer Wagen. Zwei Sheriffs stiegen eilig ein, als ich vorüberfuhr. Kaum hatte ich mein Motorrad abgestellt, hielt der Wagen mit Blaulicht vor mir, und die Beamten nahmen mich fest. Die argwöhnisch äugenden Kleinstädter wussten sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte.

Auf der Wache eröffnete man mir den Verhaftungsgrund: Infamer Tankbetrug! Die Hillbillies von der Tankstelle behaupteten, ich hätte getankt, ohne zu bezahlen. Das Eis sei vor dem Tanken von mir gekauft worden. Das war freilich eine aalglatte Lüge, gegen die ich mich schlicht verwahrte. Ein Polizeiobermeister namens Stiefel nahm unwillig meine Version des Geschehens zu Protokoll. Dann wurde ich wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die Kassentrottel blieben in zwei Vernehmungen hartnäckig bei der Aussage, dass „der Eiskaufvorgang vor dem Tankvorgang abgeschlossen gewesen sei“, wohingegen ich schriftlich beteuerte, dass zwar „der Eisessvorgang vor dem Wegfahrvorgang, noch vor diesen beiden Vorgängen, aber bereits der Bezahlvorgang abgeschlossen gewesen sei“. Die Dorfkassierer versteiften sich in ihrer Not. Wahrscheinlich sollte ihnen der kleine Blaue vom Lohn abgehen. Ich beharrte überlegen.

Schließlich, nach vier gewechselten Einschreiben, stellte der Staatsanwalt Brandstuhl das Verfahren „wegen Verdachts des Betruges“ meinerseits ein. Gründe: „Die Schuld des Beschuldigten und die Folgen der Tat sind als gering anzusehen. Auch besteht kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, zumal der Beschuldigte nicht vorbestraft ist.“ Persönlicher, fast hochachtungsvoll, war beigefügt: „ Ich darf Ihnen mitteilen, dass die getroffene Entscheidung ohne jegliche Konsequenzen für Sie ist. Sie ist mit keinerlei Sanktionen verbunden.“

Noch heute erscheinen mir ab und an die Hilfstankwarte im Traum. Der störrische Beamte Stiefel tritt meine Aussage in Grund und Boden. Der Staatsanwalt Brandstuhl erhebt in flammender Anklage den Zeigefinger und lässt erst Gnade vor Recht ergehen, als sich die Tür der Kühlbox schon über mir zu schließen droht. Ich frage meinen Ankläger: Ist dieses jahrelange Martyrium nicht Konsequenz, nicht Sanktion genug? Werde ich durch die Niederschrift vergessen? Den Tankvorgang, den Bezahlvorgang, den Eisessvorgang? TOM WOLF