„Wer hierher kommt, muss sich mühen“

Der Magdeburger Bischof Axel Noack wirbt für Integration der Westdeutschen im Osten. Einer misstrauische Ostgesellschaft erschwert das

taz: Herr Noack, in den 40 Jahren ihrer Existenz haben 4 Millionen Menschen die DDR verlassen. Seit der deutschen Vereinigung gingen 600.000 Menschen mehr in den Westen, als von dort kamen. Welche Auswirkungen hatte das?

Axel Noack: Früher gingen die bürgerlichen Schichten: Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure. Die DDR war bei der Entbürgerlichung des Landes sehr erfolgreich. Heute verlassen die Jungen und Mobilen Ostdeutschland. Damit geht die Zukunft. Andererseits gibt es eine Vielzahl von Menschen, die hier zwar arbeiten, aber nicht leben. Während die Stadt Magdeburg seit der Wende 17 Prozent ihrer Einwohner verlor, boomt Helmstedt hinter der Landesgrenze. Universitätslehrer, Regierungsbeamte, die gesamte Justiz pendeln lieber. Der Osten braucht aber nicht nur Geld aus dem Westen. Er braucht die Menschen. Die müssen hier leben, sich in Parteien, Initiativen, in Kirche oder Gewerkschaft engagieren.

Warum ziehen die Leute nicht in den Osten?

Einer der Gründe heißt: Man kann seine Kinder im Osten doch nicht in die Schule schicken. Dass unsere Schulen aber so sind, wie sie sind, liegt zum Großteil daran, dass hier zu wenig Kinder leben. Die neu ausgebildeten Lehrer, die wir dringend zur Erneuerung der Schulen bräuchten, verlassen Sachsen-Anhalt, weil sie hier keinen Job finden.

Es könnte immerhin ein älteres Juristenpaar nach Magdeburg ziehen.

Wohnklima, kulturelles Umfeld, Infrastruktur – die weichen Faktoren spielen eine enorme Rolle. Dazu kommt, dass sich die ostdeutsche Gesellschaft denen „von drüben“ gegenüber nicht sehr aufnahmewillig zeigt. Wer hierher kommt, muss sich ganz schön mühen. Ich kenne einige Leute, die mit einer durchweg positiven Einstellung gekommen und bitter enttäuscht gegangen sind.

Müssten die Ostdeutschen nicht einen roten Teppich ausrollen?

Sie haben viele schmerzliche Erfahrungen gemacht. Eine ist: Nicht annähernd sind die Ostdeutschen so begeistert aufgenommen worden, wie sie selbst vom Westen begeistert waren. Das hat vermittelt: Ihr seid nicht beliebt. Viele Ostdeutsche, die nach der Wende anpacken, aufbauen wollten, mussten erfahren, dass sie nicht gebraucht oder gewollt sind. Eine andere Erfahrung ist: Im Westen gehen die Uhren anders. Dort spielen viel stärker Titel oder Besitzstände eine Rolle. Gesetze wie Rückgabe vor Entschädigung, Evaluierungsverfahren oder diese komischen Prozesse gegen Honecker und Co haben die Ostdeutschen den Rechtsstaat nicht als hohes Gut erfahren lassen. Das alles hat Hemmung zu eigener Offenheit erzeugt.

Die bekannte Kluft zwischen West und Ost. Lebt die denn ewig?

Es ist einfach, dem Obdachlosen eine Mark in den Hut zu werfen, so wie es leicht ist, Geld in den Osten zu schaufeln. Schwerer aber ist, das Schicksal des Obdachlosen zu teilen. Solange ein Großteil der älteren Westdeutschen nicht einmal bereit ist, den Osten wenigstens zu bereisen, wird sich nur schwer etwas ändern.

Was ist zu tun?

Wir können nur immerfort werben, dass Leute aus dem Westen zu uns kommen. Das fängt bei denen an, die hier arbeiten. Außerdem muss unsere Gesellschaft der Jugend viel stärker vermitteln, dass sie hier gebraucht wird. Und zu denen, die weggehen, müssen wir versuchen, den Kontakt zu halten.

INTERVIEW: NICK REIMER