Der Nachahmer

Heute startet eine kleine Reihe mit Michael Caine-Filmen im Abaton-Kino  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Als Educating Rita gerade in die Kinos gekommen war, begegnete Michael Caine einer früheren Schauspiellehrerin wieder. Sie soll zu ihm gesagt haben, in diesem Film habe er ja wohl seine erste wirkliche Schauspielperformance gegeben. Als sie spitz hinzufügte, sie zweifele nicht daran, dass er Millionen verdient habe, ohne je zu schauspielern, hat er bloß trocken zugestimmt. Caine war allerdings zu dieser Zeit, man schrieb das Jahr 1983, bereits 50 Jahre alt und hatte in über 70 Filmen mitgewirkt.

Für Michael Caine bestand die Arbeit von Beginn an in der Nachahmung anderer. Bei jeder Gelegenheit hat er jüngeren, angehenden Schauspielern geraten, die Charaktere, die sie spielen sollten, einfach bei Leuten aus ihrem Bekanntenkreis oder bei großen Stars zu klauen. Doch er war weit davon entfernt, sein Erfolgsrezept zu verallgemeinern. Es fußte schlicht auf einer profunden Selbsteinschätzung: „Ich habe nicht das Gesicht, mit dem sich eine Manipulation versuchen ließe. Man braucht bloß einen Blick in meine Augen zu werfen und sagt sofort: Vergiss es.“ Wie vielseitig trotz seines darstellerischen Minimalismus die Rollen waren, die der im Süden Londons als Maurice Mickleehite geborene Caine im Lauf seiner Karriere einnehmen konnte, darüber gibt jetzt eine kleine Reihe von Filmen im Abaton einen Überblick.

Über die Grenzen Englands hinaus bekannt werden sollte Caine 1966, schon 33 Jahre alt, mit Lewis Gilberts Alfie. Die Rolle des Arbeiterklasse-Playboys setzte er aus der eigenen proletarischen Herkunft und dem Eroberungskonzept eines guten Freundes zusammen. Letzteres bestand unter anderem darin, so Caine später, die Frauen glauben zu lassen, man höre ihnen zu. Tatsächlich erfand der Schauspieler mit der Rolle auch sich selbst neu: Durch Alfie zum Sexsymbol des Swinging London der 60er Jahre avanciert, übernahm Caine für eine Weile das angeeignete Verhalten erfolgreich auch für das wirkliche Leben.

Und in den USA feierte man ihn als authentischen Cockney-Jungen – was er im strengen Sinne gar nicht war. Für die dortigen Aufführungen musste der Film allerdings mit schwächerem Akzent nachsynchronisiert werden. Bis heute verkörpert Caine eine gewisse Art von Britishness auf der Leinwand, und dies nicht nur in den USA. Ob er – um nur von den Filmen der Reihe zu sprechen – in The Ipcress File (1965) den hornbebrillten Gegenentwurf zu James Bond gibt, als Jack in Get Carter 1971 einen ganz neuen Gangstertypus erschafft oder in Sleuth (1972) auf der Leinwand wie in Wirklichkeit mit Altmeister Laurence Olivier konkurriert: Die Version von Britishness, für die er steht, hat unmittelbar mit seiner proletarischen Herkunft zu tun. Seinen Hass auf die Klassenschranken in England, die er einmal mit den rassistischen Verhältnissen in den USA verglichen hat, katalysierte er in seinem Spiel: Typisch für ihn wurde eine Mischung aus vornehmer Distanziertheit und wütenden Eruptionen.

Doch Caine kann auch anders: In Educating Rita erwies er sich als schieres Leinwand-Chamäleon. Zwar spielte ihn die Debütantin Julie Walters fast an die Wand als Cockney-Girl, das über das Studium der Literatur an der Open University ein neues Selbstverhältnis sucht. Caine aber hatte, darin plötzlich Method Actor, für die Rolle des alkoholsüchtigen Literaturprofessors nicht nur erheblich zugenommen, er konnte auch alles Proletarische soweit abstreifen, dass seine projektive Faszination für das ungezwungene Mädchen aus der Arbeiterklasse völlig überzeugen konnte.

Mit dem frisch gedrehten Film Last Orders, der hier, lange vor seinem Starttermin, erstmals in Deutschland zu sehen ist, kehrt Caine zu seinen Süd-Londoner Wurzeln zurück. Seine Rolle ist die eines Toten, dessen letzter Wille war, seine Asche möge am Ort seiner Geburt dem Wasser übergeben werden. Die Zuschauer bekommen ihn allein in Flashbacks zu sehen – wenn Ehefrau und Freunde in Gesprächen sein Leben Revue passieren lassen. Mit Michael Caine ist es noch nicht so weit. Man darf davon ausgehen, dass der als Workaholic bekannte 69-Jährige es sich nicht nehmen lassen wird, noch in weit mehr als den 127 Filmen, die er bisher gemacht hat, seine Version von Schauspiel zu zeigen.

The Ipcress File: heute, 22.30 Uhr; Alfie: So, 11 Uhr; Educating Rita: So, 13.15 Uhr; Get Carter: 11.3., 17 Uhr, 12. + 13.3., 22.30 Uhr; Sleuth: 11.3., 20 Uhr; Last Orders: 12.3., 20 Uhr, Abaton (alle Filme OF, außer Get Carter, OmU)