Waggons in verlassenen Tunneln versteckt

■ 90 Jahre Hamburger U-Bahn: Eine interaktive Ausstellung im Museum der Arbeit

1912 saß der Fahrer noch auf einem Klappsitz. Zu bedienen hatte er im ersten Triebwagen der Hamburger U-Bahn nur wenige Hebel. Mit einer Kurbel stellte er die Geschwindigkeit ein, die Bremse wurde per Druckluftventil gesteuert. Für den Notfall war eine Pechfackel an Bord. Seit Hamburg als zehnte Stadt der Welt eine Untergrundbahn bekam, hat die Fahrzeugtechnik ein paar Sprünge gemacht. 1962 war die Edelstahlhaut des „Designerfahrzeugs“ DT 2 der Stolz der Hochbahn. Heute wird das Nachfolgemodell DT 4 als „modernster U-Bahn-Triebwagen der Welt“ gepriesen. Mit seinen Fenstern zwischen den Waggons entspricht es dem aktuellen Bedürfnis nach subjektiver Sicherheit. Stromgewinnung beim Bremsen untermauert den Anspruch, ein umweltfreundliches Verkehrsmittel zu sein.

Die U-Bahn wurde von Anfang an als Meilenstein urbaner Lebensqualität gefeiert. Am 15. Februar 1912 weihte Bürgermeister Heinrich Burchard die erste Teilstrecke vom Rathausmarkt nach Barmbek ein. Von der folgenden Aktion kann man heute nur träumen: Zwei Wochen Nulltarif für alle. Hamburgs Bevölkerung sollte an das ungewohnte Fahren im Tunnel gewöhnt werden. Das subjektive Erleben ist ein Schwerpunkt der aktuellen Ausstellung Unterwegs – 90 Jahre Hamburger U-Bahn im Museum der Arbeit. Dabei werden auch die Menschen hinter den Kulissen nicht vergessen. Fotostrecken zeigen die Arbeiter, die „nach dem letzten Zug“ in den Tunneln ausschwärmen. Ein alter Fahrgasttraum wird per Videoprojektion wahr gemacht: eine U-Bahnfahrt aus Pilotensicht.

Zu ihrem 90. Geburtstag hat die Hochbahn AG ihre Archive geöffnet. Sie beauftragte die Hamburger Historikerin Nina Holsten mit einer Bestandsaufnahme. Neben Akten und Fotos kamen bei ihrere Suche alte Fahrkarten, Holzbänke und Gepäcknetze zum Vorschein. In der Vergangenheit ließ die Hochbahn oft ungeniert verschrotten. Viele ausrangierte Zugmodelle wurden nur durch Mitarbeiter an der Basis gerettet. Sie verfrachteten die alten Wagen heimlich in verlassene Tunnelstücke.

Auch deshalb gibt es jetzt genug Material für eine Rückschau. Der Ausstellungsraum ist durch ein Gleisbett in der Mitte geteilt. Als „Zeitschiene“ ist es chronologische Orientierungsachse für die Besucher. „Mit dem Raum sind ganz viele Entscheidungen gefallen“, erinnert sich Holsten. Durch Säulen ist er dreigeteilt, was an eine Haltestelle denken lässt. So entschied sich das Ausstellungsteam dafür, die Fragmente alter U-Bahnen nicht in Vitrinen zu verbannen. Als Inszenierungen sind sie jetzt, nach Alter sortiert, auf dem Gleis verteilt.

Auch bei den benutzten Medien ließ man sich von der Vorstellung „Haltestelle“ leiten. Ausstellungstexte sind auf Plakatwände gedruckt, die das Format von Werbeflächen haben. Anfassen ist meist erlaubt: Man darf die Zugzielanzeige und die Notrufsäule bedienen. In den ersten zehn Tagen nach Eröffnung haben 5000 Besucher diese Möglichkeiten genutzt. Nebenher gibt es in den nächsten Monaten viele Sonderveranstaltungen. Sonnabends wird eine Fahrt mit historischen U-Bahnwagen angeboten.

Christian Rubinstein

Informationen und Reservierungen auch für weitere Veranstaltungen an der Museumskasse (Tel. 428 32 24 19), Museum der Arbeit, Wiesendamm 3; bis 1. September