in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Fortuna Düsseldorf

Liebe und Verzweiflung

„Wir sind Fortuna Düsseldorf – alles andere ist nur Fußball“, las ich im Vorwort der Sonderausgabe der Stadionzeitung und zog den Kragen hoch, weil eine kalte Bö durch das Rheinstadion wehte. Ein guter Satz ist das, wie es überhaupt viele gute Sätze über Fortuna Düsseldorf gibt. Die besten haben Fans geschrieben. Je tiefer der Verein sank, um so eindringlicher wurden ihre Worte. „Liebe kann man nicht erklären“, stand auf einem Transparent in der Kurve. Aber man will eben doch Erklärungen, wenn die Liebe so unglücklich ist wie die zu Fortuna. Aus Verzweiflung wird Literatur, denn in der Not entstehen die besten Sätze. Ich fand noch einen besonders guten, während unten auf dem Rasen Einlagespiele und Showauftritte die Abschiedspartie in Gang setzen sollten. „Je trüber die Zukunft, umso glorreicher die Vergangenheit“, stand im Fanzine Nimm mich Volley.

Mir fiel dazu ein, dass ich in der Vergangenheit hier einmal richtigen Spaß hatte. Zwei Spieltage vor Ende der Saison 1990/91 musste der VfL Bochum im Rheinstadion unbedingt gewinnen, um in der Bundesliga zu bleiben, und lag nach einer halben Stunde mit 0:3 zurück. Als noch 20 Minuten zu spielen waren, stand es wundersamerweise nur noch 3:2 für Fortuna Düsseldorf, und einer seltsamen Eingebung folgend begann ich, für die Umstehenden einen Angriff des VfL laut zu kommentieren wie ein Radioreporter..„Peter Peschel nun über rechts, flankt in den Düsseldorfer Strafraum, Dirk Helmig schraubt sich hoch und … – Tooor! Ausgleich für den VfL Bochum!“ Als im Gästeblock alle jubelten, schaute mich mein Nebenmann immer noch entgeistert an, als wäre ich der geheime Lenker des Spiels, und sagte mit ernstem Gesicht: „Kann’se dat noch ma’ machen?“ Konnte ich nicht, aber eine Minute später fiel der Siegtreffer, und zum einzigen Mal überhaupt hatte mein Team drei Tore Rückstand noch in einen Sieg verwandelt. Da war es auch nicht weiter schlimm, dass wir hinterher in den präriehaften Weiten der Parkplätze um das Rheinstadion das Auto lange suchen mussten und noch länger im Stau standen, obwohl wieder mal nur 11.000 Zuschauer da gewesen waren.

Ein Jahr später wurde Fortuna Düsseldorf in der einzigen Saison, in der das möglich war, 20. der Bundesligatabelle und stieg ab. In den letzten 15 Spielzeiten brachte es der Klub auf acht Ab- und Aufstiege zwischen erster und dritter Liga. Demnächst geht es vielleicht sogar erstmals in die vierte Klasse hinunter und nur noch gegen Freialdenhoven und Velbert. „Wir können alle zur Verzweiflung bringen, aber am besten uns selbst. Wir können als Einzige immer noch schlechter werden“, las ich in Nimm mich Volley.

Wenigstens musste Fortuna Düsseldorf nur noch dieses Mal im Rheinstadion spielen, das der Klub nie ausverkaufen konnte, weil sich die Stadt nie wirklich für seinen Fußballverein interessiert hat. „Wir sind die Abrisskolonne“, stand auf dem Transparent, das die Essener Fans mitgebracht hatten, und in der zweiten Halbzeit zündeten sie einige Plastiksitze an. Im Sommer wird der architektonische Irrtum abgerissen, um einem weiteren Platz zu machen. Dann wird eine Super-Arena gebaut, die niemand braucht, vom ruhmsüchtigen Oberbürgermeister abgesehen.

Wer über Fortuna Düsseldorf nachdenkt, den umhüllen die schwarzen Schwingen der Melancholie. Der Klub kehrt nun an den „Flinger Broich“ zurück, sein altes Stadion, gegenüber der Müllverbrennungsanlage. Doch weil in Düsseldorf alles schief läuft, was mit Fußball zu tun hat, klappte dort nicht einmal der Umbau. Eng, gemütlich und mit zunächst einmal 5.800 Plätzen passend ausgelegt ist es. Nur wird man die Spiele kaum richtig sehen können, die Gitter um den Platz sind zu engmaschig, und die Fans spotten schon über den „Zwinger Broich“.

„Wir können schwimmen und trotzdem untergehen. Wir können tot sein und wieder auferstehen. Wir sind Fortuna Düsseldorf. Wir können alles“, hebt der Autor von Nimm mich Volley zum abschließenden Gebet an. Als das letzte Spiel im Rheinstadion abgepfiffen war, gingen die Zuschauer nach Hause und waren froh, hierhin nicht mehr wiederkommen zu müssen. Vielleicht hoffen sie auch, nie mehr wiederkommen zu müssen, denn manchmal ist mehr als Fußball einfach zu viel.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 41, liebt Fußball und schreibt darüber