Drum prüfe, wer sich bindet ...

Regierung und Bundestag haben die deutschen Soldaten in einen Krieg geschickt, dessen Dynamik sie unterschätzt haben. Deshalb gibt es auch keine Exit-Strategie

Während der jüngsten Offensive wurden mehre hundert Menschen getötet. Lauter Terroristen?Die Anschläge vom 11. September sind eine „einmalige Gelegenheit“, sagt Präsident Bush unverhohlen

Wer sich bindet, verliert Handlungsspielraum. Die Hoffnung, die eigene Verlässlichkeit könne einen egozentrischen Partner zähmen, hat sich schon nach ungezählten Hochzeiten als Illusion erwiesen. In Kummerkästen von Zeitschriften wird dann regelmäßig der besserwisserische Ratschlag erteilt, man hätte vorher überlegen sollen, in welchem Umfang man welche Verpflichtung einzugehen bereit sei. Als ob das zu diesem Zeitpunkt noch etwas nützen könnte.

Der Grundsatz gilt nicht nur für private Angelegenheiten. Derzeit macht die Bundesregierung in ihren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gerade die betrübliche Erfahrung, wie es sich anfühlt, in einer Zwickmühle zu stecken. Alle bindenden Solidaritätsbekundungen der Deutschen haben nicht verhindert, dass sich die USA ihrer Bündnispartner gegenwärtig nur dann erinnern, wenn sie es für richtig halten – und das auf eine Weise, die den dringenden Wunsch wachruft, in Washington in Vergessenheit zu geraten.

Wenn die US-Regierung doch wenigstens den Mund hielte. Man kann die Informationspolitik von Rudolf Scharping in vielerlei Hinsicht zu Recht kritisieren. Seine Behauptung, beim Einsatz von ABC-Abwehrkräften in Kuwait handele es sich lediglich um eine unspektakuläre Katastrophenschutzübung, legt den Verdacht der bewussten Irreführung nahe. Im Kosovo-Konflikt hat er Emotionen mit Behauptungen geschürt, die bis heute teilweise unbewiesen, teilweise sogar widerlegt sind. Die Rahmendaten der Bundeswehrreform teilte Scharping zunächst ausgewählten Journalisten in einem Hintergrundgespräch mit: Er schien diese Information, die zu geben er verpflichtet war, für ein großzügiges Geschenk zu halten. Die Angaben seines Ministeriums bei Fragen nach Deckungslücken im Wehretat tragen eher zur allgemeinen Verwirrung als zur Klärung von Sachverhalten bei.

In einer Hinsicht aber hat Scharping Recht: Alle konkreten Mitteilungen über die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an Bodenkämpfen in Afghanistan gefährden Menschenleben. Für die Soldaten der USA gilt das nicht. Die US-Regierung kann leicht reden. Sie beteiligt sich bekanntlich nicht an der internationalen Friedenstruppe, die in der afghanischen Hauptstadt Kabul die Lage stabilisieren soll. Es wäre nett, wenn Washington sich nun gegenüber den Verbündeten wenigstens als rücksichtsvoll erweisen würde. Offenkundig aber sieht sich die US-Regierung nicht einmal dazu veranlasst. Freimütig erzählt sie, wer an Kampfhandlungen beteiligt ist.

Noch vor ein paar Tagen schien diese Information weniger sensibel zu sein als heute. Bis zu dieser Woche herrschte der Eindruck vor, eigens dafür ausgebildete Einzelkämpfer befänden sich auf der Jagd nach ein paar versprengten Terroristen. Inzwischen weiß man, was das Pentagon gewiss schon länger weiß: Dieses Szenario hat nichts mit der Realität zu tun. Die Rede ist nun von mehreren tausend bewaffneten Afghanen. Der Krieg, den viele schon für gewonnen hielten, scheint gerade erst richtig anzufangen. Jetzt wird daran erinnert, dass Bundeskanzler und Verteidigungsminister die Beteiligung deutscher Soldaten an Bodenkämpfen ausgeschlossen hatten. Der Hinweis ist berechtigt – aber er beweist lediglich, dass deutsche Politiker keine Ahnung hatten, welchen Verlauf der forsch beschlossene Militäreinsatz nehmen könnte. Diese Erkenntnis ist allerdings bedrückend.

Die Entwicklung im Osten Afghanistans droht nun auch die UN-Friedensmission ins Zwielicht zu rücken. Wenn deutsche Isaf-Soldaten verletzte Angehörige der Nordallianz in Krankenhäuser bringen, dann verschwimmen die Grenzen zwischen Kampf- und Friedenstruppen. Das mindert die Glaubwürdigkeit der internationalen peacekeepers, und die Gefahr wächst, dass auch sie in Gefechte verwickelt werden. Ohnehin sind die Soldaten in Kabul in besonderem Maße verwundbar. Hier ist nicht die Rede von Unfällen wie dem gestrigen, der nach allem, was bisher bekannt ist, keinerlei Anlass für Schuldzuweisungen bietet. Die Entschärfung von Waffen ist eine gefährliche Arbeit, die weltweit immer wieder Opfer fordert – und die dennoch getan werden muss. Aber leider drohen den Truppen in Kabul eben nicht nur Unfälle. Britische Soldaten sind ja auch bereits mehrfach beschossen worden. Wenn die Bundesrepublik – faktisch – die Führungsposition von den Briten übernehmen sollte, dann übernähme sie damit zugleich ein hohes Risiko.

Das gilt umso mehr, als die Lage in Afghanistan heute unübersichtlicher ist denn je und es bezweifelt werden muss, dass die Kommandeure der internationalen Truppen sehr viel besser informiert sind als die Öffentlichkeit in ihren Heimatländern. Steht eigentlich fest, dass es sich bei den Kriegsgegnern der USA ausschließlich um Taliban handelt? Laut US-Angaben sind während der jüngsten Offensive mehrere hundert Menschen getötet worden. Lauter Terroristen? Wer kämpft eigentlich mit welchen Motiven auf Seiten der Vereinigten Staaten? Stimmt es, dass die USA kurzfristig afghanische Kämpfer angeheuert haben, über die sie kaum etwas wissen? Sollte das so sein, dann haben die US-Strategen offenbar nichts dazugelernt. Eigentlich müssten sie erfahren haben, wie wichtig es gerade in Afghanistan ist, sich die eigenen Verbündeten gut anzuschauen, wenn man Probleme vermeiden will.

George Bush hat kürzlich erklärt, die Geschichte habe ihm eine „einmalige Gelegenheit“ gegeben, die Freiheit zu verteidigen. Er wolle diese Gelegenheit nutzen. Die Terroranschläge in New York und Washington als „einmalige Gelegenheit“ bezeichnen: das darf ungestraft wohl nur der Präsident der Vereinigten Staaten tun. Die Situation zu eigenen Zwecken nutzen kann man aber auch, ohne diese wenig geschmackvolle Formulierung zu wählen. Viele tun es: afghanische Kriegsfürsten, die sich eine Stärkung ihrer Machtposition erhoffen. Das US-Militär, das Gelegenheit bekommt, eine umstrittene neuartige Bombe zu testen. Die russische Regierung, deren Kriegführung in Tschetschenien dem Westen jetzt in viel freundlicherem Licht erscheint als früher. Die CDU, die nun hofft, Honig im Wahlkampf aus dem Thema Wehretat saugen zu können. Zum Beispiel.

Der Bundesregierung kann man allerdings nicht vorwerfen, aus der Situation für sich Kapital zu schlagen. Wenn sie weiter so hilflos agiert, dann wird sie im Wahlkampf auch noch den traditionellen außenpolitischen Kanzlerbonus verspielen. Das Problem besteht nicht darin, dass sie zu militärischen Fragen geschwiegen hat. Sondern darin, dass sie es bis heute nicht einmal für nötig hielt, ihr Schweigen mit mehr als ein paar Floskeln zu begründen. Arroganz zahlt sich bei Wahlen selten aus. Am grundsätzlichen Dilemma könnten allerdings auch noch so viele Worte nichts ändern: Der Bundestag hat Soldaten in einen Krieg geschickt, unter dem sich die Parlamentarier offenbar nichts vorstellen konnten. Deshalb gibt es nicht einmal eine Exit-Strategie.

BETTINA GAUS