Finnland hat ein Endlager

Das Land bestimmt als eines der ersten Standort für die Lagerung von hochradioaktivem Müll. Anwohner sind dafür, Grüne für Jein. Kritik von Atomkraftgegnern an fehlender Diskussion

aus Helsinki HEIKE HAARHOFF

Es gibt Tage, da sitzt Timo Seppälä vor seinem Fernsehgerät in Helsinki, guckt fasziniert zu, wie Tausende Menschen bei Minustemperaturen und im Schneidersitz Straßen blockieren, die zu einem Ort namens Gorleben führen, sich trotz Wasserwerfern und Polizei an Schienen ketten, über die Züge mit radioaktivem Abfall rollen, und beglückwünscht sich, seinen Job in Finnland zu machen: Timo Seppälä ist Kommunikationsmanager bei Posiva, einer gemeinschaftlichen Firma der finnischen Energieunternehmen Fortum Power and Heat Oy und Teollisuuden Voima Oy (TVO). Povisa wurde 1995 zu dem einzigen Zweck gegründet, ein nukleares Endlager für den hochradioaktiven Müll aus den vier finnischen Atomkraftwerken zu konzipieren.

Sieben Jahre später ist Timo Seppälä diesem Ziel ein gutes Stück näher gekommen: Als eines der ersten Länder weltweit hat Finnland einen Standort bestimmt, an dem abgebrannte Brennelemente ihr Grab für die Ewigkeit finden sollen – in der 6.000-Einwohner-Stadt Eurajoki, 250 Kilometer von der Hauptstadt Helsinki entfernt an der finnischen Westküste. Genauer gesagt 500 Meter unter der Erde in einem Granitsockel, der sich nach Erkenntnis der ersten von Posiva beauftragten geologischen Studien seit zwei Milliarden Jahren nicht bewegt hat.

Hier soll nach den Plänen der Atomindustrie im Jahr 2020 das erste Endlager aller Zeiten in Betrieb genommen werden – ohne dass es Vorbilder dafür oder massive öffentliche Proteste dagegen gäbe oder gegeben hätte. „Vielleicht ist es hier eher möglich, weil es in 25 Jahren AKW-Laufzeit nicht einen Unfall gegeben hat, die Finnen zudem zum Pragmatismus neigen und wir sie von Anfang an darüber aufgeklärt haben, dass sie an einem Endlager – wo auch immer in Finnland – nicht vorbeikommen würden“, sagt Timo Seppälä. 1994 verabschiedete das finnische Parlament ein Gesetz, das mit Beginn des Jahres 1996 sowohl den Ex- als auch den Import atomarer Abfälle verbietet.

Seitdem drängt die Zeit. Jährlich fallen in Finnland 70 Tonnen abgebrannte Brennelemente an. Die AKW liefern 27,5 Prozent des Stroms. Bis 2020, so die Schätzungen der Betreiber, reichen die Lagerkapazitäten in den Abklingbecken der vier finnischen Reaktoren. Damit würde Finnland bereits etwa zehn Jahre früher als Deutschland ein Endlager benötigen.

Dass die Standortwahl für das finnische Endlager auf Eurajoki fiel, hatte nach Angaben von Timo Seppälä mehrere Gründe: Das AKW Olkiluoto (zwei Siedewasserreaktoren mit insgesamt 1.680 Megawatt Leistung) liegt in unmittelbarer Nähe zu dem Granitblock, in den die Brennelemente, in Beton verkapselt und über ein System von Tunneln und Schächten verteilt, eingelagert werden sollen; Transportwege sind also kurz. Im übrigen, so Seppälä, habe die Aussicht auf neue Arbeitsplätze, Steuervorteile und prognostizierte Gesamtinvestitionen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro für den Bau des Endlagers die in einem strukturschwachen Gebiet liegende Gemeinde Eurajoki geradezu „eifrig“ sich um den Zuschlag bemühen lassen. Woher das Geld für den Bau kommen soll, ist in Finnland keine Frage: Mit einer Sonderabgabe auf den Strom haben die Finnen das geplante Endlager längst vorfinanziert.

Eine breite öffentliche Diskussion über die finnischen Atomlager – ob nun für schwach- oder hochradioaktiven Müll, hat nicht stattgefunden. „Schuld“, so Harri Lammi, Nuklearexperte von Greenpeace in Finnland, „tragen auch die finnischen Medien, die jegliche diesbezügliche kritische Stimmen schlicht nicht zu Wort kommen lassen“. Wer sich gegen die Pläne der Nuklearindustrie zur Wehr setze, so seine Erfahrung, werde zuweilen sogar mit dem Leben bedroht. „Dabei gibt es bisher keinerlei wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür, dass die Lagerung im Granit tatsächlich sicher ist.“

Derweil erfreuen sich die Lachse aus der AKW-eigenen Zucht von Loviisa eines guten Absatzes, ohne dass sich kritische Stimmen über den Grund ihrer überdurchschnittlichen Größe erhöben.

Die finnischen Grünen, die in der Regierung die Umweltministerin stellen, indes betonen, sie hätten mit ihrem „Ja“ zu Eurajoki nur weiterer Forschung, aber keineswegs der Realisierung des Endlagers für radioaktiven Müll zugestimmt. Und wenn dieses jemals in Eurajoki gebaut werde – dann nur unter der Bedingung, dass die Entscheidung im Zweifel von künftigen Generationen rückgängig gemacht werden könne – eine Möglichkeit, die Granit, im Gegensatz zu Salzstöcken wie etwa in Gorleben, angeblich bietet.