Reform als Mittelstreckenlauf

Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen versetzen Arbeitsminister Riester nicht in öffentlichen Schrecken. Wirtschaftsexperten warnen davor, auf den Aufschwung bloß zu warten. Reformkommission für die Bundesanstalt für Arbeit konstituiert sich

aus Berlin NADIA LEIHS

Arbeitsminister Walter Riester (SPD) will Optimismus verbreiten. Den erneuten Anstieg der Arbeitslosenzahlen bezeichnete er gestern in Berlin als „nicht wesentlich“. Die ersten Forderungen zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit (BA) würden „schon eingelöst“. Nach dem unfreiwilligen Abgang des früheren BA-Präsidenten Bernhard Jagoda, der wegen falscher Arbeitsamtstatistiken in den „einstweiligen Ruhestand“ versetzt wurde, und dem kontinuierlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen in den vergangenen Monaten braucht der Sozialdemokrat dringend gute Neuigkeiten. Vermutlich deshalb betonte Riester lieber den „starken Zuwachs an offenen Stellen“, statt den Anstieg der Arbeitslosenzahl auf 4,3 Millionen zu kommentieren. Allerdings hat der Minister die Statistik wohl nicht richtig gelesen: Im Vergleich zum Vorjahr sind deutlich weniger freie Stellen gemeldet worden.

Wirtschaftsexperten rechnen mit einem bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung frühestens im zweiten Quartal 2002. Die konjunkturelle Verbesserung werde in diesem Jahr „den Arbeitsmarkt nicht erreichen“, sagte Reinhard Kudiß vom Bundesverband der Deutschen Industrie der taz. Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft kritisierte Riesters Job-Aqtiv-Gesetz, mit dem die Vermittlung von Arbeitslosen ins Berufsleben verbessert werden soll, als „halbherzig“ und forderte weitere Arbeits- und Sozialreformen.

Über die Arbeitsbehörde in Nürnberg soll sich künftig die 15-köpfige Reformkommission die Köpfe zerbrechen, die sich gestern konstituierte. Sie soll aus der Bundesanstalt einen „kundenorientierten und leistungsbezogenen Dienstleister“ machen, sagte Riester. Der Vorsitzende der Kommission, Peter Hartz, betonte: „Es geht um eine Weiterentwicklung“, und warnte zugleich vor zu großen Erwartungen. „Wir sind Mittelstreckenläufer“, Ergebnisse seien nicht über Nacht zu erwarten. Bis Mitte August will die Hartz-Kommission erste Vorschläge vorlegen, welche Aufgaben wie die Auszahlung der dann möglicherweise zusammengelegten Arbeits- und Sozialhilfe die Bundesanstalt künftig übernehmen soll. Erst danach wollen sich die 14 Männer und eine Frau an die heiklen Fragen der Personal- und Führungsstruktur wie den Erhalt der Landesarbeitsämter wagen.

VW-Vorstandsmann Hartz sieht in seiner Kommission „alle gesellschaftlichen Kräfte“ einbezogen. Unzufrieden sind dagegen die, denen der ganze Aufwand eigentlich gilt. „Die Arbeit der Betroffenenorganisationen wurde schon beim Bündnis für Arbeit nicht ausreichend gewürdigt“, sagt Marion Drögsler, Vorsitzende des Arbeitslosenverbands in Berlin. Auch in der Reformkommission sitzt der Verband nicht mit am Tisch. Dabei hätten die Selbsthilfeinitiativen eine Menge Ideen und Erfahrung darin, welche Unterstützung die Arbeitssuchenden brauchen, so Drögsler. Den Einwand, die Erwerbslosen seien ausreichend über die beiden Gewerkschaftsvertreter in der Kommission repräsentiert, lässt Drögsler nicht gelten: „Die Gewerkschaften sind nun mal hauptsächlich die Vertreter der Arbeitnehmer.“

Auch den Bundesverband der privaten Personalvermittler, die nach Riesters Willen künftig stärker in die Vermittlung Arbeitsloser eingebunden werden sollen, sucht man vergeblich unter den Kommissionsmitgliedern. „Erst ruft man uns und dann lässt man dem nichts folgen“, kritisiert Sieglinde Schneider, Sprecherin des Bundesverbandes. Sie vermutet, dass „alte Vorurteile“ verhinderten, dass die privaten Vermittler in die Reformdiskussion einbezogen werden. Die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsministerium lasse sehr zu wünschen übrig: Schon im April soll das Gesetz in Kraft treten, auf Gesprächsangebote von Seiten der privaten Vermittler habe das Ministerium aber bis heute nicht reagiert.

portrait SEITE 13