Immer brav Tabubruch betreiben!

■ Manipulierte (Selbst-)Wahrnehmung: Stefan Kern und Jack Goldstein im Kunstverein

Wen's schwindelt, der hat Pech gehabt. Dabei schwindelt Stefan Kern ziemlich oft: Mogelt hier ein Möbelstück dazu, setzt dort einen weißen Tisch in die Halle, der sich erst spät als Teil der Ausstellung entpuppt. Im von ihm gestalteten Obergeschoss des Kunstvereins allerdings besteht kein Zweifel: Exklusiv und komplett weiß-hölzern hat Kern den Raum bespielt, hat ihn mit zwei Baumhäusern, einem Riesen-Iglu, einer Wippe und konvex-konkaven Sitz-Ornamenten bestückt. 25 geklaute Ideen heißt die Installation des 1966 geborenen Hamburger Künstlers; sie soll das Unberührbarkeits-Tabu stören: Ausdrücklich sind die Besucher zur Benutzung und Besetzung der Skulpturen aufgefordert. Doch im Tabubruch erschöpft sich Kerns Werk nicht. Denn letztlich hat er die Halle zu einer riesigen Bolzplatz umgestaltet, auf dem sich ausgewählte Exemplare der Spezies Mensch austoben können. Und sie werden tun, wie ihnen geheißen und gar nicht bemerken, dass sie sich exakt innerhalb der vom Künstler abgesteckten Grenzen bewegen: kein Tabubruch, so gesehen, sondern Folgsamkeit in höchster Potenz. Schlicht gemacht, genial gedacht, das Ganze – und mit subtiler Ironie unterfüttert. Denn wer wird es letztlich sein, der das Gebaren des homo sapiens sapiens betrachtet – oder es einem Besucher vorführt, wie man etwa sein Aquarium präsentiert? Gott etwa, wenn er in seinem großen Garten spazierengeht?

Und wie und wo soll man zwischen Jack Goldsteins audiovisuellen Unmöglichkeiten einherspazieren, die im Erdgeschoss warten? Den Wind, das Feuer und andere Naturgeräusche hat der Künstler in Vinyl gepresst. Ein Versuch, die unberechenbare Natur zu bannen und wie konserviert im Zoo auszustellen? Vielleicht hat den Kanadier auch das Kontrolle suggerierende Prinzip der Reihung über seine Machtlosigkeit hinweggetröstet – ein Muster, das auch die im Kunstverein präsentierte Filmsequenz durchzieht: Mal poetisch, mal lapidar wirkt die Komposition, in der Federregen, Hundegebell und eine Endlos-Schleife des MGM-Löwengebrülls aufeinander folgen. Alles Versatzstücke, jederzeit reproduzierbar, schnell abgenutzt: eine zentrale Aussage der Goldsteinschen Werke aus den 70er Jahren, die Wahrnehmung und deren Manipulierbarkeit thematisieren und letztlich die Frage nach authentischem Dasein jenseits des Gemachten und Machbaren stellen. Oder ist das Spiel selbst zum neuen Beweis existenzieller Authentizität geworden, frei nach der Devise: „Ich rede über Wahrnehmung, also bin ich“? Petra Schellen

Di–So 11–18 Uhr, Kunstverein, Klosterwall 23; bis 7. April