Im Concordia „tanzlos distanzlos“

■ Thomas Lehmann präsentiert zur Halbzeit des Festivals eine Ein-Mann-Performance

Mit dem Mikro im Mund robbt Thomas Lehmen beim „Todeskriechen, beinah lachend“ über den weißen Bühnenboden, gibt stöhnende Laute von sich, die passable Geräuschkulisse sowohl eines Kriegsdramas als auch eines Schmuddelstreifens sein könnten.

Vielleicht wäre das eine gute Kunstaktion, mehr nicht, habe er sich gedacht – genau wie das phantomimische Schaufeln eines imaginären Sandhaufens vom einen Bühnenrand zum anderen. Vielleicht auch nicht, weshalb er sich anschließend in „Zwei Minuten fürs Publikum“ ausliefert, den eher harmlosen Befehlen der ZuschauerInnen wie „Kannst du mal lächeln“ oder „Spiel' verliebt“ tapfer Folge leistet.

“What the fuck do you think I am doing here?!?“ brüllt Lehmen irgendwann lauthals seine Zuschauer an. Der Performer stellt sich und seinem Publikum Fragen nach dem Sinn von Kunstaktionen – und ihrer eigentlichen Unvereinbarkeit mit dem „echten“ Leben.

„distanzlos“ ist eine collagenartige Sammlung einzelner Aktionen, die mit Tanz jedoch wenig zu tun haben. Abgehackte, extrem reduzierte und kampfsportartige Bewegungen hier und da, oder manisches Hüpfen mit einer komischen Ernsthaftigkeit, auf Partys gern als „Ausdruckstanz“ geschmäht. Damit persifliert er vage allzu bedeutungsschwangere zeitgenössische Choreographien oder Kunstaktionen, und auch das eigene Schaffen wird hinterfragt:

Wieder und wieder verliest er im Laufe des knapp einstündigen Programms seine „Probennotizen“. Künstlerische Gedanken und ehemals geplante Projekte, die er, wie er lakonisch hinzufügt, aus Mangel an Zeit, Geld oder Motivation nicht realisieren konnte oder wollte – oder jemand aus der Performance-Konkurrenz eben schneller damit war, das komplette Zumauern eines Museumsraumes zum fragwürdigen Happening zu erheben.

Am Ende erzählt er herzergreifend von einem Grubenunglück im Ruhrpott, seiner alten Heimat, illustriert dabei Fetzen der tragischen Kumpel-Schicksale mit knappen und klaren Bewegungen. Spätestens hier wird klar, dass das Leben die wirklich wichtigen und auch wahren Geschichten schreibt. Thomas Lehmen sucht so trotz aller hintergründigen Ironie und zaghafter Persiflage auf allzu unverständliches Performance- und Tanzgehabe eine sehr direkte und emotionale Einbindung des Publikums, ist tatsächlich „distanzlos“.

Ein netter Künstler, schließlich macht nicht jeder den Probenprozess und eigene kleine künstlerische Sinnkrisen derart transparent wie Herr Lehmen – doch tut er dies nicht ohne ein bisschen kokett zu sein, genau wissend, wie komisch es wirkt, wenn er in minimalistischer Reduzierung seiner Körperbewegungen den Unterschied zwischen choreographischer Idee und künstlerischer Umsetzung vor Augen führt.

Eine beeindruckende Arbeit, die mit viel Esprit und Energie zum Nachdenken über Kunst anregt. Und auch über die eigene Zuschauerrolle, die man viel zu oft auf bequemes Sich-berieseln-lassen reduziert. Roland Rödermund